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Fernöstliches Tagebuch

von Helmut Rieländer

Seite 40, Teil 1 von 3
30. April bis 9. Mai 2009

Bereits bei den ersten Lichtstrahlen des neuen Tages bin ich frisch und munter, steige hinunter in die Toilette mit Waschgelegenheit, um ein kühles ‚Duschbad’ zu nehmen. Die ‚Wasch- und Toilettenmöglichkeit’ befindet sich im hinteren Teil des Gebäudes dem Abhang des Platzes zugewandt, auf dem sich die Schulgebäude und das Haus des zweiten Lehrers befinden. Wenn man sich auf der Toilette oder vor dem Wasserfallwasser gespeisten Wasserfass befindet, kann man durch die zum Teil nach hinten geöffnete Wand in die Berglandschaft schauen. Das Wasser kommt aus einem Wasserfall in dem hinter dem Dorf liegenden Berghängen. Der erste Teil des Dorfnamen – der Begriff Huai – weist auf Wasser hin. Die Karensiedlungen der Umgebung haben sich alle an Bach- und Flussläufen oder an Wasserfällen angesiedelt. Wasser ist das Leben spendende Elixier Nummer eins auf unserem Erdenrund.

Es gibt zwar auch hier für die meisten Hütten elektrischen Strom, der durch Solarenergie gewonnen wird, aber ich finde in der Hütte keine Steckdose, sondern nur zwei einsame Glühbirnen die ein wenig Licht in dunkler Nacht bieten. Somit kann ich meinen Akku des Rasierers, der sich immer schneller verbraucht, nicht aufladen. Nach einem Duschbad mit frischem kühlendem Wasserfallwasser bereite ich zusammen mit Eak ein Frühstück mit Brötchen und Brot, der ersten der beiden Ananas und einem Tee vor. Gegen halb sieben begebe ich mich an die Arbeit mit meinen Malutensilien. Als erstes möchte ich die Schulgebäude auf dem Platz vor mir auf der Bank vor dem Haus sitzend auf einem großen Stück des mitgebrachten Reispapiers skizzieren.

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Meine neuen Malutensilien mit der in Wasser löslichen Japantinte, den Bambusrohrfedern, der schon gefertigten Tinktur und einem Köcher für die Materialien, der aber erst gegen Mittag von den netten Leuten des Dorfes gefertigt und mir später von Eak geschenkt wurde.

Die Skizze der Randbebauung des Bolz- und Versammlungsplatzes, fast auf dem höchsten Punkt des Dorfes, mit von links nach rechts: dem Schul- und Unterrichtsgebäude für die Erwachsenen (hier befindet sich auch das einzige Fernsehgerät des Ortes, wie im Nachbarort mit Autobatterien betrieben), dem Hauptschulgebäude für die rund dreißig zu beschulenden jungen Schüler des Ortes (rechts von der weiter im Vordergrund stehenden Person, dem Informationsbrett mit dem Motorrad davor). Darauf folgt das Lager- und Küchengebäude, was von den Lehrern und auch von den jüngeren Schülern für die Essenzubereitung genutzt wird. Hinter den Schulgebäuden befinden sich am Hang diverse Bananenstauden.

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Das Schulhaus in Huai Sai am Morgen des 30.04.09 als Skizze mit Feder, Tinte und Japantusche auf Reispapier (56 x 39,5 cm)

Die Dorfbewohner und vor allen Dingen die Kinder lassen nicht lange auf sich warten. Bereits gegen sieben sind die ersten Frauen mit verschiedenen handgearbeiteten ärmellosen Jacken vor dem Zelt von Eak erschienen und breiten ihre Schätze, die sie in einem Korb mit sich tragen, vor uns aus. Spontan greifen wir beiden Fremden uns zwei der Jacken heraus und streifen sie uns über. Es sind handgewebte derbe Stoffe in verschiedenfarbenen Braun und Beigetönen mit helleren und blauen Längsstreifen eingewebt. Ich fordere Eak auf, sich eine der ärmellosen Jacken auszusuchen, ich möchte ihm für seine Fahrt und all die Bemühungen dankend eine Freude bereiten. Auch ich suche mir eine der ärmellosen Hemdjacken aus und möchte sie beide gerne erwerben. Nun treten die Frauen in Aktion und zeigen uns verschieden strukturierte Bänder. Wir sollen uns den ‚Besatz’ der Ärmel und des V-Ausschnitts aussuchen. Es sind aus blauweiß geflochtenem Material mehr oder weniger feine Kordeln, die als Besatz später an die benannten Stellen angenäht werden, um den einzelnen Kleidungsstücken eine entsprechend persönliche Note zu geben. Nun treten zwei Frauen in Aktion, die nach meiner Wahl des Musters für meine Jacke eine entsprechende Kordel für den schmückenden Besatz herstellen werden. Dazu legt sich eine der Frauen einzelne Fäden um die vier kleinen Zehen des rechten Fußes, sodass sich lange Schlaufen u-förmig bilden.

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Die verschiedenfarbigen einzelnen Fäden, aus denen nun die Kordel als Besatz für meine ärmellose Jacke hergestellte wird.

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Nun werden die Fäden nach oben gezogen um eine entsprechend lange zweifarbige Kordel zu erhalten.

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Chawan hilft ihr bei dem Winden der Kordel und dem Flechten des zweifarbigen Besatzes, der für meine gewünschte Jacke bestimmt ist.

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Die Hände der stehenden Frau werden entsprechen gewunden, der etwas gestreckte Fuß mit den Zehen als ‚Halterung’ halten das zu windende Werk. Lehrer Chok schaut interessiert zu.

Kinder und auch erwachsene des Dorfes sind inzwischen zusammengelaufen und beobachten das Treiben auf ihrem Dorfplatz vor der Schule mit Interesse.

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Die Kordel ist nun nach noch nicht einmal zehn Minuten fast fertig und Chavan macht sich im Anschluss daran, die Kordel als schmückenden Besatz meiner Jacke mit einem entsprechenden Faden und mittels einer Nadel zu vernähen.

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Ich will mich gerade an meine Arbeit des Zeichnens begeben, da werde ich an den Rand des Platzes gebeten. Hier sitzt Chavan und arbeitet im Beisein ihres Sohnes an meiner kittelartigen ärmellosen Jacke.

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Sie weist zur Hütte am Fuße des erhöht liegenden Schulgebäudes.

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Hier ist eine Frau im Kreise ihrer Familie damit beschäftigt, Stoff zu weben, um weitere Kleidungsstücke für das Dorf, aber auch zum Verkauf an Touristen zu fertigen. Die Hütte ist relativ einfach eingerichtet und weist neben einer Herdstelle und diverser an der Wand hängender Kleidungsgegenstände nur noch einen Vorratsbehälter für Reis auf. Der zu webende Stoff ist an einer quer laufenden Verstrebung der Hütte an einem Punkt an dem alle Fäden zusammenlaufen verbunden.

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Ich bedanke mich durch einen Wai beim Hinausgehen aus der Tür der Hütte für den freundlichen Einlass und das Zeigen dieser textilhandwerklichen Besonderheit. Es gibt also keine Webstühle, alles wird frei ohne Rahmen oder Fußbetrieb bewegt. Ausschlaggebend sind die Hände und Arme und die verschiedenen Stäbe – dazu dient auch das blaue Wasserrohr – und ein Schiffchen, mit der die entsprechende Bindung des Gewebes gefertigt wird.

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Nun begebe ich mich endlich auf meine Bank vor die Hütte des nicht anwesenden Lehrers. Eak hat mir inzwischen schon zwei der unausweichlichen Plastikstühle, die es überall auf dieser Welt gibt, aus dem ‚Schulgebäude’ geholt und sie vor der Bank aufgebaut. Ich lege letzte Hand an meine Feder-Pinselzeichnung und bin gleich von einigen Kindern und Jugendlichen umringt. Es ist inzwischen schon nach halb neun und ich möchte nun bald mit dem Zeichnen der Porträts der Bewohner des Dorfes beginnen. Ein recht netter Jugendlicher, der mir schon durch sein ernstes, sehr aufmerksames Wesen am Morgen aufgefallen war, macht den Anfang.

Er heißt Ponchai und ist ein gutes Modell, da er still sitzt und sich auf den Punkt, den wir auf der Bretterwand hinter mir ausgemacht haben, konzentrieren kann. Der Punkt ist wichtig, da zum einen die Sonne über die rechte Seite des Dachs hinter mir scheint und somit das Gesicht zentral beleuchtet. Bei leichtem Abwenden zur linken Seite verändert es nicht nur die nun verschieden groß erscheinenden Gesichtshälften, sondern die dem Licht leicht abgewandte größere Hälfte wird auch leicht verschattet.

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Ponchai

Ponchai weicht mir fast die ganze Zeit des Tages nicht von der Seite und springt ein, wenn Hilfe benötigt wird. Er ist auch derjenige, der mir immer das entsprechende Reispapier, was ich in der Hütte zum Schutz abgelegt habe, durch die Tür neben mir auf die Bank reicht. So lernt er ‚big’ und ‚small’ zu unterscheiden. Meist brauche ich ‚big’ was dann am Ende des Tages auch zur Neige geht.

Nun drängen die Kleinen, nachdem sie gesehen haben, dass es kleines Süßes zur Belohnung gibt, auf die Stühle und sie lassen sich eines nach dem anderen still sitzend porträtieren.

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Pusak

Pusak ist noch weitaus jünger als Ponchai, der ja schon fast als Jüngling durchgeht. Er sitzt aber vollkommen gerade und ruhig und lässt die rund zehn Minuten der Porträtprozedur über sich ergehen.

Es folgen Lapichai und Polapat . Beides noch ganz kleine Bewohner des Dorfes, aber doch recht mutig. Sie scheinen alles gute Freunde zu sein, denn sie tauschen auch untereinander die von mir im Anschluss verteilten kleinen Kekse und eingewickelten Bonbons. Eak kommt kurz an meiner Bank vorbei, auf der ich zum Zeichnen sitze und gibt mir zu verstehen, dass er mit einigen Männern des Dorfes und dem Lehrer in den Wald geht, um dicken Bambus zur Herstellung von Trinkgefäßen für das Guesthouse zu sägen.

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Lapichai

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Polapat

Nun trauen sich auch Erwachsene, mir Modell zu sitzen. Recht forsch setzt sich die von der Sonne sehr gebräunte Gungpawn vor mich hin. Sie hat ihre Pfeife mitgebracht und zieht während des Porträtierens ab und zu an dem guten Stück. Sie trägt dünne, sehr schöne mehrfarbige Ketten um den Hals. An einem dickeren Lederband (auf dem Foto nicht zu sehen) hängt ein Kreuz. Die Menschen des Dorfes Huai Sai sind Christen, genauer Jesuiten. Unweit des Schulhauses am Fuße des Bolzplatzes steht eine Kirche - hellblau gestrichen – mit einem goldenen Kreuz auf dem Dach des einschiffigen Holzbaus. Ich werde nun aus gestalterischen Gründen, aber auch aus Gründen der Eindringlichkeit der Darstellung Fotos der Porträtierten hier abbilden. In einer später zu leistenden Ausstellung werden dann alle gemalten Portäts zu sehen sein.

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Gungpawn

Nachdem Gungpawn gerade den Stuhl vor mir verlassen hat, sie bekommt übrigens für ihre Bemühungen eine kleinen Geldschein, überreicht mir Chavan mein nun mit einer Zierbordüre versehene ärmellose Jacke und bietet sich gleichzeitig an, mir Modell zu sitzen.

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Meine neue von den Karen in Huai Sai produzierte ärmellose Jacke, an der Chavan noch Verfeinerungen nach individuellem Geschmack vorgenommen hat.

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