Fernöstliches Tagebuch
von Helmut Rieländer
Seite 38
19. bis 25. April 2009
Die neue Woche bringt mich wieder eine Woche näher an den Termin des Abschiednehmens von dem Haus, der Stadt, dem Gastland und diesem faszinierenden Erdteil, der so anders ist als das westlich durchorganisierte kühle Europa. Mit kühl ist hier nicht allein die Witterung gemeint!
Am Wochenende nach Erscheinen der Seite 37 scheint sich nun doch eine Möglichkeit für den Besuch der Bergvölker im Westen von Mae Hong Son, was nun wiederum zweihundert Buskilometer nordwestlich von Chiang Mai an der Grenze zu Myanmar (ehem. Birma) liegt, abzuzeichnen.
Ein Mädchen der Padaung, die sich auch in der Nähe von Mae Hong Son angesiedelt haben. Die sog. ‚Langhals-Frauen’ kommen durch das Tragen der Halsringe, die das Knochengerüst unterhalb des Halses niederdrücken und die Halsmuskulatur verkümmern lassen – daher der lange dünne Hals, der jährlich durch weitere Ringe ‚verlängert’ wird – durch den Sensationstourismus zu einem lukrativen ‚Nebenverdienst’. Für mich ist die Darstellung nur eine Vorübung für mögliche Porträts, die ich aber dort an Mitgliedern anderer Bergvölker machen möchte. Ich halte nichts von solch zooartigen Darbietungen.
Am Montag war ich noch einmal in der Innenstadt von Chiang Rai, nicht nur um meinen Flug nach Mae Hong Son zu buchen, sondern auch den Flug am 19. Mai von Chiang Rai nach Bangkok-Suvarnabhumi, dem großen internationalen Flughafen von Bangkok. Die Mehrzahl der Inlandflüge gehen zum älteren Flughafen Bangkoks nach Don Muang. So erging es mir vor fast neun Monaten auf dem Hinflug aus Frankfurt kommend: Ankunft auf dem neuen großen Flughafen Suvarnabhumi und dem Anschlussflug nach Chiang Rai 900 Kilometer nördlich. Da die Maschine in Frankfurt verspätet gestartet und die Verspätung nicht mehr aufholbar war, bekam ich in der kurzen Zeit des Wechsels der Maschinen den Anschlussflug nicht mehr. Um überhaupt an diesem Tage noch nach Chiang Rai zu gelangen musste ich den Flughafen wechseln. Das bedeutete, mit dem Taxi 50 Kilometer ans andere Ende der über acht Millionen Stadt - mit über zwei Millionen Autos – zu gelangen! Das Taxi und den Aufenthalt in der V.I.P.-Lounge mit Kaffee und Sekt, sowie den anschließenden Flug in der Business-class zahlte natürlich Thai Airways. Ich kam durch den verspäteten Start insgesamt auch fünfeinhalb Stunden später an. Um all diese Widrigkeiten und auch möglichen Demonstrationen auf Bangkoks Straßen zu umgehen, habe ich nun einen Direktflug zum großen Bangkoker Flughafen. Der Anschlussflug geht dann dreieinhalb Stunden später. Ein Problem wird das Gepäck sein. Mein wohl 25 Kilogramm Übergewicht würde ca. 650€ kosten! Somit geht’s nun mit der Post (entweder in drei Monaten für 82€ oder in einem Monat für 148€ ! Auf dem Flug kann ich nur 20 Kg Gepäck mitnehmen. Auf dem Hinflug waren es über 31 Kg und die nette Dame von Thai Airways hat damals in Frankfurt beide Augen zugedrückt.
Es muss nun alles zurück... neben den Klamotten auf dem Hinflug, die ganze Kunst, der Anzug, Pullover, Teekanne, Tee, Gewürze und diverse Mitbringsel. Ich bin sehr gespannt, wie das klappen soll. 40 Kg kann ich in zwei Paketen schicken! Unwichtige Kleidung und ein Großteil der Bücher gehen mit der Post. Kunst, wertvolle Dinge und den Anzug nehme ich im Koffer mit.
Am Samstag war ich schon einmal in der Innenstadt, nicht nur um mein Fahrrad, das wieder einmal einen ‚Platten’ hatte, reparieren zu lassen (40 Eurocent), sondern auch, um noch einmal in meinem Papierwarenladen in der Tanon Suk Sathit nahe des Clocktowers zu stöbern. Der Kaffee-Philosoph von Wat Rong Khun, dem ich erzählt hatte, dass ich für meine geplanten Pinselzeichnungen auf Reispapier, die ich bei den Bergvölkern fertigen möchte, mir Stempel wünsche. Diese Stempel, die man auch von chinesischen Drucken und Zeichnungen kennt, sollen die Serie der Zeichnungen kennzeichnen. Chinesische Schriftzeichen deshalb, da fast alle Vorfahren der Bergvölker aus dem Süden Chinas oder aus Tibet stammen. Außerdem passen sie auch gut zu der Zeichentechnik. Die Begriffe, die sich in der chinesischen Schrift jeweils in einem Schriftzeichen ausdrückt, sollen in abgerundeten Rahmen untereinander stehen. Es sind ‚Kultur, Volk, Berge/Gebirge, und ‚Freude, Gelassenheit, Meditation’ jeweils untereinander stehend auf zwei unterschiedlichen Stempeln. Außerdem plane ich noch einen Signaturstempel fertigen zu lassen.
Als ich den größeren Schreibwarenladen an besagter Straße betrete - es ist wieder einer der heißen und schwülen Tage - liegt die etwas korpulente Besitzerin leicht über den Tisch gebeugt unter einem Ventilator und schlummert den Schlaf der Gerechten. Ich wende mich an eine der Verkäuferinnen die mich nur schwer versteht. Ich hatte von dem Bekannten vom Wat R.K. erfahren, dass die Stempel als ‚SIL’ bezeichnet werden. Sie zeigt mir einen und das zugehörige Stempelkissen dazu. Nun kommt auch die Besitzerin frisch vom Ladentisch, führt mich zu einem großen Bord, auf dem lauter verschiedene fertige Stempel liegen. Sie erklärt mir, da sie recht gut Englisch spricht, die Bedeutung einiger der Stempel. Ich erstehe einen mit der Aufschrift ‚schnell/ eilig’ für schnelle, flüchtige Skizzen und einen mit der Aufschrift ‚absolut Geheim’ für Arbeiten auf Papier oder Leinwand, die nicht zu entschlüsseln sind.
Stempel aus dem Schreibwarenladen in Chiang Rai
Sie sind natürlich in der thailändischen ‚Ösenschrift’ ausgeführt. Dazu gehört natürlich noch ein rotes Stempelkissen (1,4€ zusammen). Ich frage nun die Besitzerin nach einem SIL-shop und sie malt mir auf, wie ich dort hingelange und schreibt mir in besagter Schrift den Namen des Ladens auf, damit ich den Einheimischen in der Straße den Zettel unter die Nase halten kann. Ich werde nach Besuchen einiger zweifelhafter Etablissiments in der Thanon Chet Yot fündig. Die Frau des Stempelherstellers ist anwesend und kann etwas Englisch. Sie versteht soviel, dass ich ihr mein Anliegen vortragen kann. Nach dem Zeigen an einem Objekt und des Zeichnens auf einem Probebogen gibt sie mir zu verstehen, dass der Entwurf von mir zu machen wäre, den Stempel würde sie und ihr Mann dann für 1,5 bis 2 € - je nach Größe – herstellen! Die Produktion dauert vier Tage. Wenn ich aus Mae Hong Son zurückkäme, würde es noch reichen. Da ist vielleicht auch noch ein Stempel für die Signatur drin?!
Am Montag half mir dann per Mail ein Freund und Kollege sowie seine Tochter in Bremen, das passende Schriftprogramm im Internet zu finden und ich konnte die chinesischen Schriftzeichen übertragen. Dabei fand ich auch den Begriff ‚Bergvolk’ in der chinesischen Schrift. Ein Begriff, der aus vier Schriftzeichen besteht. Leider musste ich im zweiten Stempel den Begriff ‚Gelassenheit’ durch ‚Ruhe’ ersetzen, da es den Begriff ‚Gelassenheit’ in der chinesischen Schriftsprache nicht zu geben scheint.
Auf jeden Fall bin ich nun schon ein Stück näher an der Umsetzung... es fehlen ‚nur noch’ die zu stempelnden Zeichnungen der Landschaft und der Menschen.
Um mich ein wenig auf die Porträts einzustimmen, habe ich gestern meinen Nachbarn Silas aus Kamerun gebeten, mir Modell zu sitzen, da ich seit Jahren keine Porträts mehr gezeichnet oder gemalt habe. Eigentlich tue ich mich schwer mit dem Sujet. Deshalb auch die kleine Vorübung. Es brauchte auch acht! Anläufe, bis eine einigermaßen zufriedenstellende Feder-Pinselskizze mit Japantusche auf Reispapier herauskam.
Silas, mein Nachbar in Chiang Rai als ‚Vorübung’ für den Besuch bei den Bergvölkern am 23.04.09
Zuvor hatte ich bereits am Sonntag wieder begonnen den Zyklus über den Mekong künstlerisch wieder aufzugreifen. Vor dem Hintergrund meiner ersten Eindrücke auf meiner Fahrt entlang des Mekong Ende Oktober, Anfang November letzten Jahres, sind nicht nur viele Skizzen und Zeichnungen entstanden, sondern Hunderte von Fotos, die mir nun helfen, Farbeindrücke und Stimmungen zusätzlich zu dem Gemalten in die nun entstehenden Bilder mit einzuarbeiten.
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Vorzeichnungen, verschiedene Stadien und Ausschnitte aus den beiden im Entstehen begriffenen Arbeiten(Mischtechnik auf Leinwand und Nessel 70 x 90 cm.
Ich möchte aber auch auf dieser Seite einiges zu dem bereisten Land Kambodscha sagen und schreiben. Nicht nur, weil ich es vor zwei Seiten angekündigt habe, sondern weil es mir ein Bedürfnis ist und einen gewissen dunklen oder auch blinden Flecken im Gedächtnis und auf der so genannten ‚Seele’ hinterlassen hat!
Für mich ist die Begegnung mit einigen Kambodschanern, die besuchten Kulturschätze in Angkor und das Wissen um die Geschichte des Landes und des Volkes der Khmer dabei ausschlaggebend.
Thum Seng, der Motordup-Fahrer aus Siem Reap, hier in Angkor im Januar 2009
Auf der einen Seite ist mir der nette Motordup-Fahrer Thum Seng noch in reger Erinnerung, auf seinem Motorrad sitzend, den ich das erste Mal vor dem Flughafengebäude am 22. Januar dieses Jahres traf. Mein Freund Günter L. hatte ihn Tags zuvor engagiert, vor dem Hintergrund seines guten Englischs und des Wissens um die Kulturschätze von Angkor.
Angkor heute: Bayon im Januar 2009
Er ist Mitte zwanzig Jahre alt. Stolz aber doch nicht aufdringlich zeigte er uns an den folgenden Tagen die phantastischen Ruinen der Tempelstätten, deren Erbauer auf seine Vorfahren zurückführen.
Auf der anderen Seite sah ich am letzten Abend meines Aufenthaltes in Siem Reap die ‚Mines Victims’(Minenopfer) gegenüber eines indischen Restaurants, die in ihrem versehrten Zustand – ohne Beine oder Unterschenkel, z.T. auch ohne den rechten Arm – Musik für die Touristen spielten.(Ich habe nicht gewagt, sie zu fotografieren!) Sie bekamen Almosen für ihren Auftritt zwischen all den Restaurants.
Wofür stehen diese beiden Extreme?
Sie zeigen im Prinzip die Zeitspanne von 1207 Jahren bis heute. Die Zeit vor der Errichtung Angkor Wats wird als ‚Phnom Kulen Stil’ bezeichnet. Diese Epoche wird von den Wissenschaftlern bereits zur Ankor-Epoche hinzugerechnet. Angkor wird dann 1112 (-1152, Bau von Angkor Wat und Annektion des Königreichs Champa) auf Geheiß des Königs Suryavaman II. errichtet. In den folgenden dreihundert Jahren schufen unterschiedliche Bauherren, Baumeister, Handwerker und Sklaven alle übrigen Bauwerke der riesigen Tempellandschaft von Angkor.
Die ‚Mines Victims’ (Minenopfer) des Bürgerkrieges und der Besetzung durch vietnamesische Truppen sind die Kehrseite dieser ruhmreichen Geschichte.
Sie sind letztlich Produkt eines furchtbaren Bürgerkrieges, der seine Wurzeln auf der einen Seite im Hass der Khmer auf die benachbarten Vietnamesen trägt, aber in seiner wesentlichen Seite auch auf der Kolonialmacht Frankreich (um 1863), die ähnlich den Vietnamesen (bereits im 15. Jahrhundert) die Khmer „ ... als eine niedrig entwickelte Rasse ... versuchten... ihre französische Kultur aufzudrängen. Ein schwerer Fehler, der später immer wieder Ursache für Konflikte war, ist die Zusammenfassung der unterschiedlichen Kulturräume in Indochina (wie ich dieses Wort hasse und so falsch finde, der Tagebuchschreiber) zu einer politisch gemeinsam verwalteten Region.“ (aus: Neuhauser, Andreas/ Kambodscha/ Handbuch für individuelles entdecken/ Bielefeld 2008/ Seite 97)
Wie ich es bereits in Bezug auf Vietnam gesagt hatte, diente der sog. Kommunismus und das grundlegende Gedankengebäude von Marx, Engels und Lenin, den Völkern und zukünftigen Regierungen der drei Länder Vietnam, Laos und eben auch Kambodscha, sich national der alten kolonialen und imperialen Mächte zu entledigen. Möglicherweise vergleichbar mit der heutigen Bewegung islamischer Fundamentalisten die sich mit „ Allahu akbar !“-Rufen (Allah ist groß) gegen die westliche Vereinnahmung zur Wehr setzen. Das Ende des Kommunismus brauchte eine neue Ideologie, unter der sich die Besetzten und Unterdrückten sammeln konnten. Al-Qaida scheint ihnen eine neue Heimstatt und als Sprachrohr zu dienen.
(siehe auch: Terzani, Terziano; ’Das Ende ist mein Anfang’ / München 11.2008/ Seite139f)
Zurück zu den drei Staaten in Südostasien. In allen drei Staaten diente die den Besatzern verhasste Ideologie als Struktur und Disziplin, den Sieg gegen sie zu erringen. Außerdem sicherte es den Befeiungsbewegungen die ideologische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung der beiden anderen Mächte UdSSR und VR China. Dabei wurden auch die sich entwickelnden Widersprüche zwischen diesen beiden Staaten zumindest von Vietnam und seinem klugen ‚Lenker’ Ho Chi Minh gesehen und taktisch genutzt. Die Sowjetunion und China unterstützten von ihrem Standpunkt aus die Bewegungen in den drei Ländern, um sie für ihre weltpolitischen Ziele zu nutzen. So schienen alle Beteiligten etwas von der Bewegung ‚gegen den gemeinsamen Feind’ zu haben. Das Problem war, das die Widersprüche im internationalen Maßstab zwischen den Westmächten und den beiden sog, sozialistischen Ländern China und UdSSR nun nicht im eigenen Land oder zwischen den Staaten sondern in den drei Ländern Südostasiens ausgetragen wurden. Man könnte von einem „ ideologischen Stellvertreterkrieg der Großmächte, auf dem Rücken unschuldiger Menschen „ sprechen. (siehe auch: Neuhauser A./ a.a.O. Seite 97)
Die französische Kolonialmacht herrschte in Kambodscha ähnlich lang wie in Vietnam: von 1863 bis 1953. In diesen Anfangsjahren schloss König Norodom von Kambodscha mit den Franzosen einen Vertrag, die Bodenschätze und die Wälder auszubeuten. Er stellte sich gleichfalls mit diesem Vertrag unter den Schutz Frankreichs, um sich Vietnams und Thailands, die immer wieder in das Land einfielen, um es sich ihrer habhaft zu machen, zu erwehren. Thailand war schon im ausgehenden Mittelalter interessiert an Angkor, seinen Schätzen und an der fruchtbaren Region um den Tonle Sap.
Reisfelder im heutigen Kambodscha zwischen Siem Reap und dem Tonle Sap im Januar 2009
Um die erbosten Thai zu besänftigen, die Teile Kambodschas kontrollierten, wurde von der französischen Kolonialmacht 1867 die Getreidekammern Siem Reap und Battambang, Thailand ‚zugeschlagen’. In der Folge setzte die Kolonialmacht Könige nach Gutdünken und als für sie nützliche ‚Verwalter’ ein. Erst mit der Vertreibung der Franzosen durch die Japaner im zweiten Weltkrieg 1945 wurde der junge König Norodom Sihanouk von der neuen ‚Kolonialmacht’ Japan aufgefordert, die Unabhängigkeit auszurufen. Durch den anschließenden Sieg der Westmächte unter Führung der Amerikaner über die Japaner, waren nach kürzester Zeit die alten Machthaber nach Südostasien zurückgekehrt. Kambodscha erhielt aber nun (1946) das Recht, eine eigene Verfassung auszurufen und politische Parteien zu gründen. Es folgten Auseinandersetzungen und Kämpfe bis zur Unabhängigkeit Kambodschas von Frankreich im Jahre 1953. Der damalige kambodschanische junge König Sihanouk war Überbringer und zukünftige Regent des jungen unabhängigen Staates. Sein autoritärer Führungsstil wurde aber schon bald von der politischen Mittelklasse, den Militärischen Befehlshabern, den Intellektuellen und Studenten schärfstens angeprangert und bekämpft. Schon in dieser Zeit begann sich der radikale Arm der kommunistischen Khmer-Partei im Untergrund zu organisieren und zu bewaffnen. Unter Saloth Sar, der bis 1953 ein Ingenieurstudium mit dem Schwerpunkt Radiotechnik in Paris ergebnislos abbrechen musste, und später unter dem Namen Pol Pot bekannt wurde, wurden die Roten Khmer zu der Untergrundorganisation in Kambodscha.
Im Vietnamkrieg der sechziger Jahre wurde das Land, durch dessen Nordosten der von Nordviertnam genutzte Ho-Chi-Minh-Pfad - auf dem Waffen und Ausrüstung des Vietcong transportiert wurden - führte, mit in den Krieg verstrickt. Die amerikanischen Truppen bombardierten daraufhin kambodschanisches Gebiet. In diesen Auseinandersetzungen entschied sich Prinz Sihanouk für Nordvietnam und schlug sich diplomatisch auf die Seite Chinas.
Ende der sechziger Jahre wandte sich der um Ausgleich der Mächte bedachte Sihanouk sich wieder dem Westen zu, nach der letztlich doch nicht so erfolgreichen Tet-Offensive des Vietcong (1968).
„Durch immer häufigere Souveränitätsverletzungen beider Kriegsparteien wurde Kambodscha mehr und mehr in den Krieg verwickelt. Besonders der Vietcong benutzte das Land als sichere Basis, um von dort aus die Amerikaner anzugreifen. Angeblich hatte Sihanouk den USA vorsichtig signalisiert, dass er sich bei einem Schlag gegen die Kommunisten auf seinem Territorium neutral verhalten werde. Daraufhin begann 1969 eine Serie von Luftangriffen mit B-52-Bombern auf Verstecke der Nordvietnamesen in Kambodscha, die den geschmackvollen Namen Menü hatten. Durch flächenmäßiges Bombardement und ungenaue Abwurfangaben wurde unter der Zivilbevölkerung ein grausames Massaker angerichtet.“ (aus: Neuhauser, A. /a.a.O. Seite 103)
Als Sihanouk 1970 die Sowjetunion und China im Rahmen eines Staatsbesuches bereiste, organisierte der damalige Amerika freundliche kambodschanische Premierminister Lon Nol erfolgreich einen Putsch gegen den abwesenden Prinzen. Er wurde auf Beschluss der Nationalversammlung nicht wieder in das Land zurückgelassen. Den Amerikanern war Sihanouk als Verbündeter zu unsicher geworden, somit bekam der CIA den Auftrag, das Problem zu lösen. Unter Lon Nol wurde in der Folge die Monarchie abgeschafft und die Khmer-Republik ausgerufen. Es löste aber nicht die Probleme im Lande. Schnell waren die angeblichen Verursacher der Misere gefunden. An der verhassten Minderheit der Vietnamesen wurden grausame Massaker ausgeführt.
Verschiedene parallele Entwicklungen führten dann letztendlich zur Machtübernahme Pol Pots.
1. In Peking im Exil gründete Sihanouk die Funk-Partei, die alle politischen Gegner Lon Nols versammeln sollte.
2. Ihre Armee bestand aus einer kommunistisch beeinflussten Guerilla, aus der sich später die Roten Khmer rekrutierten.
3. Der Vietcong übernahm die Ausbildung dieser jungen Guerillatruppe, um die Amerikaner aus Kambodscha zu vertreiben. In den Auseinandersetzungen mit den Führern der Roten Khmer und deren angeblich extremen Ansichten, trennten sich die Ausbilder des Vietcongs wieder von den kambodschanischen Guerillatruppen.
4. Ab 1973 kämpften daraufhin die Roten Khmer als einzige Truppe gegen die Regierung in Phnom Penh und bezwangen die Truppen Lon Nols Zug um Zug. Die Folge war ein großer Flüchtlingsstrom vom Land in die Stadt. Die Stadtbevölkerung Phnom Penhs stieg von zuvor 1 Mio. auf 2,5 Mio. Menschen an.
Vielen ist vielleicht noch die Evakuierung der französischen und amerikanischen Botschaft, die in dem Film „Killing Fields“ nachgespielt wird, in Erinnerung. Möglicherweise hat es sich ähnlich abgespielt.
Auch der Journalist T. Terzani erzählt von entmenschlicht wirkenden Guerillakämpfern, die Menschen, die nicht sofort Folge leisteten, erschossen. Es war der Beginn des größten bisher erlebten Traumas der Geschichte Kambodschas.
Siem Reap heute, Blick nach Nordosten im Januar 2009
Die Bewohner der Stadt Phnom Penh hatten die Stadt alle ! binnen 48 Stunden zu verlassen. Ein riesiger Exodus aufs Land begann, von dem sehr viele nicht wieder zurückkehren sollten. Parallel zu dieser Einnahme der Hauptstadt und der Machtübernahme der Roten Khmer lief die Besetzung Saigons durch die Nordvietnamesischen Truppen und den Vietcong. Die letzten Amerikaner – Militärberater und Botschaftsangestellte - verließen fluchtartig Südostasien.
In Kambodscha nannte die selbsternannte Regierung das Land nun „Demokratisches Kampuchea“.
„Ihre Ideologie war die bedürfnislose Gleichheit der Menschen und ihr Ziel, Kambodscha in einen Agrarstaat zu verwandeln. Khieu Samphan, einer der Führungskader (studierte Recht und Volkswirtschaft zur gleichen Zeit wie Pol Pot in Paris und wird später Herausgeber der Zeitung ‚L’ Observateur in Phnom Penh, der Tagebuchschreiber), sagte einmal:’ Wir werden die erste Nation sein, die sich in eine perfekte kommunistische Gesellschaft verwandelt, ohne dabei durch Zwischenschritte Zeit zu verschwenden.’ (aus: Neuhauser; A. / a.a.O. Seite 107)
Kambodscha heute: Frauen am Straßenrand des Straßendorfes am nahe des Tonle Sap im Januar 2009
Unter unmenschlichen Bedingungen mussten die ehemaligen Städter Reis pflanzen, Land urbar machen und Kanäle anlegen. Maschinen wurden zerstört, weil sie den Vorstellungen eines archaischen Staates widersprachen. Familien wurden getrennt. Wer nicht hart genug arbeitete, sich über die Bedingungen beschwerte, selbst Gemüse anbaute und unerlaubt sexuelle Beziehungen einging, wurde meist mit dem Tode bestraft. Die Menschen hungerten und versuchten auf die schwierigsten Weisen, an Essbares zu kommen. Bei vielen der erschütternden Berichte, die ich dem Leser ersparen möchte, wird man stark an Behandlungen in den deutschen KZs der Nazis während der dreißiger und vierziger Jahre in unserem Lande erinnert. Natürlich war auch die medizinische Versorgung nicht gewährleistet. Die meisten Menschen litten an Unterernährung.
Häuser und Hütten am Phnom Krom nahe des Tonle Sap im heutigen Kambodscha, sechzehn Jahre nach dem endgültigen Ende der Schreckensherrschaft von Pol Pot und den Khmer Rouge (Januar 2009)
„Überarbeitung, Hunger, Erschöpfung, Krankheit und Tod – fünf Stichwörter in der richtigen Reihenfolge. Die Kambodschaner verendeten wie die Fliegen. Dazu kamen Hinrichtungen. Der geringste Verstoß, die kleinste Andeutung von Unzufriedenheit wurde mit dem Tode bestraft. Menschen mit einer höheren Ausbildung waren besonders bedroht, denn Angkar (...die imaginäre Führung der Khmer Rouge; niemand wusste, wer personell dahinter steckte - ähnlich des ‚Big Brother’ in G. Orwells Roman „1984“, der Tagebuchschreiber) betrachtete sie mit tiefstem Misstrauen. Der Bauer hingegen – ebenso wie die Analphabeten auf dem Reisfeld – repräsentierte die höchste Form der Intelligenz. Viele Intellektuelle verrieten sich, weil sie Brillen trugen. Der Bauer trug keine Brille, warum sollte es dann irgendein anderer tun? Als der Völkermord beendet war, lebten nur noch 300 der zuvor 12 000 Lehrer. Ärzte und Ingenieure ruhten in ihren Gräbern. Das Land war seines Intellekts beraubt – ein Körper ohne Gehirn.“ ( aus: Farovik, Tor / „in Buddhas Gärten“ / München 2007 / Seite 112)
Religionsfreiheit sog. reaktionärer Religionen war nicht mehr gewährleistet. Die buddhistischen Mönche (40 – 60 000) wurden in Arbeitsbrigaden auf die Felder beordert. Die Pagoden wurden geplündert und zerstört. Wer betete oder religiöse Handlungen ausführte, wurde erschossen. Man muss sich das vorstellen bei einem seit zweieinhalb Jahrtausenden im Grunde streng religiösen Volk!
Die Cham waren nach der Bedrängung durch die Vietnamesen aus dem Norden und den Khmer aus dem Westen zum islamischen Glauben übergetreten. Im alten Kambodschanischen Staat waren sie eine geduldete Minderheit.
„ Auch die Cham... entkamen dem Holocaust nicht. Ihre religiösen Führer wurden hingerichtet, die Moscheen dem Erdboden gleichgemacht, die Menschen wurden gezwungen, ihrer Religion abzuschwören und Schweinefleisch zu essen.“ (aus: Neuhauser, A. / a.a.O. Seite 109)
Die Vietnamesen, ganze Familien, der Feind Nummer eins aus der nationalen Geschichte, wurden kaltblütig ermordet.
Danach (ab 1978) wurde wie in allen unmenschlichen Systemen, in den eigenen Reihen der kaltblütige Mord zur Erlangung des Zieles einer ‚klassenlosen’ agrarorientierten Gesellschaft rücksichtslos durchgeführt. Der Terror der Khmer Rouge soll der blutigste in der Geschichte sog. kommunistischer Staaten gewesen sein. Selbst Stalin hat – prozentual an der Bevölkerung seines Landes – nicht so viele Menschen ermorden lassen wie Pol Pot. Es sollen in den vier Jahren seiner Schreckensherrschaft zwischen 800 000 – nach seinen Schätzungen – und ungefähr 3 Mio. Menschen nach der Schätzung der im Jahre 1979 von den besetzenden Truppen Vietnams eingesetzte Regierung in Phnom Penh direkt oder indirekt ermordet worden sein. Das bedeutet das zwischen 20 und 32 Prozent direkt oder indirekt durch das unmenschliche, mörderische Regime zu Tode kam.
Die ‚Umerziehung’ der Menschen zu einer gerechteren Gesellschaft kann ohne den Willen der Menschen dieser Gemeinschaft bildende Gesellschaft nicht gelingen. Alle Mittel die nicht auf freiem Willen und den einheitlichen, demokratischen Beschluss dieser Menschen zurückgeht, ist zum Scheitern verurteilt. Die Durchsetzung eines Agrarstaates mit allen Mitteln, Verbote jeglicher Art, sowie die Abschaffung der Zahlungsmittel ohne Ersatz durch ein Äquivalent in unserem Gesellschaftsgefüge, sind unter Zwang und mittels brachialer Gewalt, zum Scheitern verurteilt. Das Denken und Handeln von Menschen im Übergang von einem Gesellschaftssystem zu einem anderen lässt sich nicht bewerkstelligen, wie man es wie bei der Reparatur von Radios durch Austausch von Röhren oder Transistoren versucht, um andere ‚Wellen rein zu bekommen’, Herr ‚angehender’ Ingenieur Sar. wir haben es hier mit Menschen zu tun!
Das Schlimme in den siebziger Jahren war, dass diese Entwicklung in Kambodscha weitestgehend unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit stattfand. Den spärlichen Informationen, die aus dem sich abschottenden Land nach außen drangen, konnte man nur bedingt Glauben schenken. So stritt und spaltete sich in dieser Zeit ein Teil der westlichen Linke u.a. auch an diesem Bürgerkrieg. Viele, so wie auch ich, schenkten den Greuel-Berichten - nach den Falschmeldungen über den Vietnamkrieg - keinen Glauben mehr. Zu unwahrscheinlich waren die Art und Weise der Anschuldigungen, und die hohe Zahl von Toten. Und war es denn nicht immer in Kriegen so, dass die Wahrheit zuerst stirbt; siehe Jugoslawien, Afghanistan und Irak in jüngster Vergangenheit.
Tiziano Terzani schreibt in seinem Buch „ Das Ende ist mein Anfang“ im Jahre 2004, in dem er über seine jahrelangen Erfahrungen als Journalist und später als Schriftsteller mit seinem Sohn Folco spricht:
„ ...
FOLCO: Die Amerikaner erzählten euch Lügenmärchen?
TIZIANO: Und ob! Während des Kriegs in Kambodscha, das muss 1973/74 gewesen sein, versuchten sie der westlichen Presse weiszumachen, dass die drei berühmten Anführer des kambodschanischen Widerstands, drei Intellektuelle namens Khieu Samphan, Hou Yuon und Hu Nim, und ein vierter, der Saloth Sar hieß und hinterher als Pol Pot bekannt wurde, so genannte ghosts waren und in Wirklichkeit gar nicht existierten. Sie behaupteten, das seien nur erfundene Figuren und nicht etwa Menschen, die die Widerstandsbewegungen anführten. Wenn die Person, die einen dieser Namen führte, umgebracht wurde, nehme einfach ein anderer deren Namen an. Dasselbe wurde übrigens von dem nordkoreanischen Präsidenten Kim Il Sung behauptet.
FOLCO: Toll! Über die fünf Saddams gab es eine ähnliche Story!
TIZIANO: Nur dass ich damals mit dem Bruder von Khieu Samphan gesprochen und der mir gesagt hatte:“ Mein Bruder existiert wirklich, das schwöre ich dir.“ Verstehst du? Die Amerikaner logen das Blaue vom Himmel herunter! Schon damals erfanden sie all diese Lügen, in denen sie es heute zu wahrer Meisterschaft gebracht haben, und am Ende glaubten wir ihnen gar nichts mehr, nicht einmal das, was leider stimmte, nämlich dass die Roten Khmer entsetzliche Blutbäder anrichteten. Die Roten Khmer waren tatsächlich Mörder.“
(aus: Terzani, Tiziano / „Das Ende ist mein Anfang – Ein Vater, ein Sohn und die große Reise des Lebens“/ München 2008 / Seite 114f)
Die vietnamesischen Streitkräfte besetzten nach harten Kämpfen, die auf Angriffe der Roten Khmer zurückgingen und ausschlaggebend für den dann folgenden Krieg waren, 1979 die Hauptstadt und das Land. Die Roten Khmer zogen sich in die Urwälder zurück und führten von dort einen Guerillakrieg, der bis vor sechzehn Jahren andauerte.
Bleiben die Folgen, die sich wie sichtbare Narben ausgeben. Die ‚Mines Victims’ sind sichtbarer Ausdruck von Krieg und Hinterlassenschaft der Roten Khmer und der Besatzungsmacht Vietnam, so wie ich es am letzten Abend im Januar dieses Jahres in Siem Reap vor Augen geführt bekam. 1995 ‚verseuchten’ noch ca. 3-4 Millionen Minen Kambodschas Äcker, Wälder und Sümpfe. Der Krieg in diesem Lande hinterließ bis zu etwa 40 000 Menschen mit Amputationen. Diese Waffen sollten ihre Opfer nicht töten, sondern durch die Art der schrecklichen Verletzungen laut militärischer Erkenntnisse Soldaten und Zivilbevölkerung mehr demoralisieren, als es Tote tun! Viele der Opfer erreichen bedingt durch die schlechte ärztliche Versorgung nur tot die entsprechenden Krankenhäuser.
Achtzig Prozent der Opfer, die Minenexplosionen überleben, kamen oder kommen aus der Landwirtschaft. Das bedeutete, betteln zu gehen. Da der von Vietnam eingesetzten Übergangsregierung zwischen 1979 und 1990 kaum Geld für die Versorgung der Opfer zur Verfügung stand, wurden die Gesetze hinsichtlich des zuvor verbotenen Bettels aufgehoben. Internationale Hilfsorganisationen befinden sich bis heute im Lande, um mit einfacher Technologie, die im Lande auch repariert werden kann, das Land und seine Opfer zu unterstützen. Die Minen werden weiterhin mit Unterstützung ausländischer Räumungsfirmen geräumt, trotzdem kommen auch heute noch immer täglich durchschnittlich zwischen zwei und drei Menschen in Kambodscha durch explodierende Minen zu Schaden.
Es wird noch Jahre dauern, bis alle Minen im Lande geräumt sind.
In aktuellen Kriegen werden diese Menschen verachtenden Waffen weiterhin eingesetzt!
In Siem Reap haben wir auf der Straße viele Menschen auf Krücken gestützt oder in einfachsten Rollstühlen, Marke ‚Eigenbau’, sich durch die Straßen bewegen sehen.
Die Musikgruppe, die wir dann am Abend sahen, spielte zum Herz erweichen, und von vielen erhielten sie ihre verdienten Almosen.
Abschließend ist zu sagen, dass sich das Land ganz allmählich, nachdem die letzten Guerillakämpfer ihre Waffen niedergelegt haben, wieder erholt und zu normaleren Verhältnissen zurückkehrt. Es fehlt aber im Prinzip die mittlere und ältere Generation, die vieles vermitteln und weitergeben hätte können. Nun liegt die Erwartung des Landes auf der heranwachsenden Jugend.
Kinder und Jugendliche an einem Obststand in einem Vorort von Phnom Penh (schnelle Skizze nach einem Foto) 2009
Soweit zu der sehr schwierigen und von viel Elend gezeichneten Geschichte Kambodschas in der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.
In drei Wochen, auf meiner letzten Tagebuchseite 41 vor meiner Heimkehr nach Deutschland, werde ich mich in ähnlicher Weise mit dem zweiten Land mit Vietnam, das ich Anfang dieses Jahres bereist habe, befassen. Auf der finalen Tagebuchseite (42) - wieder in angestammter Heimat - werde ich mich dann mit Laos und meinem Gastland Thailand beschäftigen.
Morgen früh geht es mit dem Bus nach Chiang Mai und von dort mit einem Flugzeug in das etwas unwegsame Städtchen im äußersten Nordwesten Thailands, nach Mae Hong Son. Hier werde ich versuchen ,mich künstlerisch mit ein bzw. zwei der in der Region lebenden Bergvölkern zu befassen. Aus Gewichts- und Zeitgründen werde ich dieses Mal ohne Notebook reisen. Aus diesem Grunde erscheint die nächste Tagebuchseite 39 erst in zwei Wochen am 9. Mai. Bis dahin wünsche ich allen Daheimgebliebenen nach Belieben einen schönen (Tanz in den Mai) oder auch kämpferischen? ersten Mai. Bis zur nächsten Seite in zwei Wochen...