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Fernöstliches Tagebuch

von Helmut Rieländer

Seite 30, Teil 2 von 2
22
. bis 28. Februar 2009

Ich schreibe das nicht alles auf, weil ich zum Vertreter des Konfuzianismus avanciert wäre, sondern weil sich – so meine ich – diese ‚Art des Wissens’ und der Wissensaneignung, sowie die Festigung dieser Ideologie hier in Form von Architektur, Skulptur und Zeremoniegerätschaft in ihrer Vielfältigkeit manifestieren. Ansätze bestehen bis heute fort und erleben in China aber auch, wie ich am Vortag von Tung erfahren hatte, in Vietnam eine Renaissance.

Wie sah nun solch eine Prüfung aus, wer nahm daran Teil und welchem Zwecke diente sie?

Das Ziel einer solchen Prüfung – die in Abständen von drei Jahren abgehalten wurde – war, fähige und qualifizierte (statt nur durch adelige Herkunft privilegierte) Staatsdiener zu rekrutieren (mir fällt in diesem Zusammenhang die ‚Arbeiteruniversität-Bremen’ ein ... ich weiß auch nicht warum?!)

„Im Zeitalter des Gottkönigtums (Angkor Wat) und der genetischen Prädestination (‚ein Affe bleibt immer ein Affe, ein Nobler produziert immer andere Noble’) ohne Zweifel ein großer Fortschritt und Keimzelle nahezu ‚demokratischer’ Prinzipien. Theoretisch war zu den Prüfungen jedermann zugelassen (außer Frauen und ‚unzuverlässige Elemente’), der fest auf dem Boden des Grundgesetzes und der bestehenden Ordnung stand. Zigtausende Kandidaten versuchten oft ihr ganzes Leben lang, den Maßstäben gerecht zu werden, da selbst noch die niedrigste Stufe des Mandarinats mit den höchsten Privilegien verbunden war. Erfolglose Kandidaten gingen als hoch geachtete Privatlehrer, öffentliche Schreiber oder Heilkundige in ihre Dörfer zurück und gaben ihr Wissen an die Bevölkerung weiter. Die Prüfungen bestanden aus Abhandlungen über Literatur, Ethik, Politik, poetische Komposition und dem ‚richtigen’ Abfassen administrativer Texte. - Formelhaft und praxisfeindlich, auf die Verewigung des Status Quo ausgerichtet und im Laufe der Zeit immer realitätsfremder, wurden die Prüfungen zwar mehrfach ‚reformiert’, blieben im Prinzip jedoch über die Jahrhunderte hinweg immer gleich. Gelehrsamkeit und Wissen waren alles, Entwicklung, Forschung, Geschichte und das Bewusstsein von Individualität – alles, was ständigem Wandel unterworfen ist – blieb tabu.

An den Prüfungstagen strömten aus allen Teilen des Landes Aberhunderte Kandidaten herbei, die als Sieger regionaler Tests hervorgegangen waren. Mit Zelt, Bambusliege und Schreibgerät ausgerüstet, nahmen sie eine etwa fußballplatzgroße, von Bambuszäunen eingegrenzte Fläche in Beschlag, auf der sie 30 bis 35 Tage examiniert wurden; von Wachtürmen und auf dem Rücken von Elefanten kontrollierten Aufseher den ordnungsgemäßen Ablauf.“ (Das war damals bei uns anders, der Verfasser) „Erstmals 1075 im Quoc Tu Giam durchgeführt, blieb dieses Ritual bis 1915 (Hanoi) bzw. 1918 (Hue) (in dem von mir zuvor besuchten Literaturtempel) praktisch unverändert erhalten.“ (aus: Bühler, W.-E. a.a.O. Seite 249)

Nach meiner eingehenden Besichtigung – das Wetter neigte immer noch zum Regen – begab ich mich in das eben vom Inhalt beschriebene Quoc Tu Giam – in das ‚Institut der Söhne des Staates’ – um vom Innern nach Außen eine Zeichnung zu fertigen. Nachdem der Regen aufgehört hatte, begab ich mich rechter Hand vor das Gebäude, um eine Zeichnung von außen zu fertigen (siehe oben die letzte Zeichnung).

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Das Quac Tu Giam (Institut der Söhne des Staates) von außen auf dem Gelände des Literaturtempels in Hanoi am 22.02.09

Vom Tempel der Literatur begab ich mich nach einer kleinen Stärkung in der Nähe des Tempels mit einem Ciclo (einer Fahrradrikscha) in Richtung des Gouverneurpalastes und des in seiner Nachbarschaft befindlichen Mausoleums Ho Chi Minhs. Im weitläufigen Park des ehemaligen Palais des Generalgouverneurs von Indochina – später Sitz des vietnamesischen Ministerpräsidenten, er dient heute repräsentativen Zwecken wie Staatsempfängen und internationalen Treffen und Tagungen – befinden sich zwei ‚Gartenhäuser’ von denen aus Ho Chi Minh in seiner Amtszeit die Geschäfte führte. In einem bescheidenen Gartenhaus am See, im gleichen Stil wie der Gouverneurpalast gebaut, befand sich das erste Arbeitszimmer Ho Chi Minhs auf dem Gelände.

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Arbeitszimmer Ho Chi Minhs im alten Gartenhaus im Park des Gouverneurpalast in Hanoi

1958 zog er dann in ein Holzhaus im Stil der Tay – bei denen Ho nach seiner Rückkehr aus dem Exil Unterschlupf gefunden hatte. Von diesem Holzhaus aus waltete Ho bis zu seinem Tode im Jahre 1969 über die Geschicke des Landes. Das ursprüngliche Holzhaus bestand aus einem bescheidenen Arbeits- und Schlafzimmer, davor lag ein kleiner Lotosteich, an dem der ‚Vater des vietnamesischen Sozialismus’ zu meditieren pflegte, Gedichte schrieb und die Goldfische im Teich fütterte. Inzwischen hat man aus der Hütte eine stattliche Holz- Stahlkonstruktion entwickelt, die mit dem ursprünglichen Holzhaus nicht mehr all zuviel zu tun hat. Ich habe das Haus nun an dem See trotzdem gemalt.

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Das umgewandelte Gartenhaus, das Ho Chi Minh während seiner Amtsjahre als Wohn- Schlaf- und Arbeitsstätte diente. 22.02.09

Nach diesem entspannenden Skizzieren begab ich mich noch einmal in Richtung des Mausoleums und des Ho-Chi-Minh-Museums. Letzteres wollte ich mir nicht antun und das Mausoleum schließt schon um halb Elf in den Vormittagstunden. Somit waren nur noch einmal Studien vom großen Platz mit Mausoleum mit dem auf dem riesigen Ba-Dinh-Platz – Paradeplatz – dem Mausoleum axial gegenüber liegenden Ehrenmal per Foto zu machen, bevor es wieder ins Hotel ging.

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Das Mausoleum am Rande des mehrere Fußballfelder großen Ba-Dinh-Platzes ...

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... und sein Gegenüber mit der Straße Doc Lap im Fordergrund und der Bac son dahinter.

Im Hotel angelangt, buchte ich für meinen letzten Tag meiner Anwesenheit eine Bustour zur einhundertzehn Kilometer entfernten Ha Long Bay und eine Bootstour zu zwei der vor der Küste liegenden Inseln (18 U$). Hoffentlich lässt das seit Tagen anhaltende Nieselwetter endlich nach.

An diesem Abend kam Tung der Architekturstudent im Hotel vorbei um nicht nur den von mir geliehenen Fotodatenchip, den er sich ‚überspielt’ hatte zurück zu geben, sondern mir auch bei dieser Gelegenheit seine nette Freundin vorzustellen. Wir verabschiedeten uns herzlich, da ich ja am übernächsten Tage weiter nach Laos fliegen würde und versprachen uns per Mail weiterhin Kontakt zu halten.

Am nächsten Morgen ging’ s dann auf die dreieinhalbstündige, etwas nervige Busfahrt von Hanoi in die Ha Long Bay. Der Kleinbus, gechartert von dem Unternehmen ‚Chung Sinh’, sammelte in einer guten halben Stunde die Mitfahrenden ca. 20 Personen an den verschiedenen Hotels von Hanoi ein.

Der ‚Ritt’ durch die Vororte, entlang des Highways und dann in östlicher Richtung bis nach Bai Chay – dem Ausgangspunkt unserer Bootstour – zog sich vor dem Hintergrund der schlechten Straßenverhältnisse und der vielen Orte, die wir durchfuhren, hin. In Bay Chai dann die Überraschung, dass ich als einziger Mitfahrender noch eine Karte lösen müsse. Ich beteuerte, dass ich den entsprechenden Betrag bereits im Hotel entrichtet hätte. Man wollte mich zum Kauf einer weiteren Karte von 2,5 U$ nötigen, es war mir nicht transparent weshalb. Auf jeden Fall war der ‚organisierende’ Guide der besagten Firma weder in der Lage, mir die Plausibilität seiner Forderung einer zweiten Bezahlung zu erklären, noch die Gruppe in irgendeiner Weise zu leiten. Letztlich nötigte er mich, ein Ticket nachzulösen, um mir es dann vom Hotel zurückzuholen. Etwas idiotisch, da ich ihm anhand des Durchschlages des Belegs zeigen konnte, dass die Bootstour eingeschlossen war. Auch am Abend im Hotel, das mir bei Abreise von den gesamten Kosten, den Betrag erließ, war diese undurchsichtige Art der Kostenberechnung nicht zu entschlüsseln. Die abwesende Kollegin hätte einen Fehler begangen, erklärte man mir. Mich nervte diese prinzipielle Ungerechtigkeit den Rest der Fahrt. Es war aber nicht das erste Mal, dass mir in Hanoi der Hang zum Gelde und auf Deutsch ‚zum Bescheißen’ aufgefallen war. Bei fast jeder Bezahlung wurde versucht, vom Rikschafahrer, über die Baguetteverkäuferin bis zum Taxifahrer, ‚Sondergelder’ einzustreichen. Ich gebe gern, aber freiwillig!! Details erspare ich mir... es bleibt ein etwas bitterer Nachgeschmack! So scheint mir doch, dass zumindest die Altstadt von Hanoi und andere touristische Brennpunkte durch den Massentourismus menschlich leidet. Das ist sehr schade und ein Wermutstropfen auf den wirklich schönen Aufenthalt in Vietnam, mit zwischendurch schönen Begegnungen!

Der Aufenthalt an der Ha Long Bay war dunstig und Nebel- und Wolkenverhangen. Der Ort selbst hat sich mit dem Touristenboom der letzten Jahre – Ha Long Bay wurde 1994 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt – vom verschlafenen Ausflugs- und Fährort zum ‚vietnamesischen Kleinmallorca’ (Zitat aus meiner Reiseliteratur ) gewandelt. Der Preis ist hoch, wie ich selbst erlebt habe. Wir fuhren dann mit einem Schiff mit ausgewiesener Restauration die erste der Inseln mit einer gewaltigen Tropfsteinhöhle in den Felsen an.

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Blick in die dunstige Ha Long Bucht, die Hügel am Horizont gehören noch zum Festland 23.02.09

Erst sehr spät ist die erste Insel der rund 2000 Inseln, die sich in der riesigen Bucht befinden, mit ihren charakteristischen Kegelformen auszumachen. Das Boot legt nahe des Zugangs der Tropfsteinhöhle auf der Doc Canh Insel an und wir besichtigen ohne jegliche Erläuterung des Guides die Höhle.

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Schiffe in der Bucht der Doc Canh Island

Anschließend vertreibe ich mir die Zeit des Wartens auf das Anschlussschiff mit dem Malen der am Anleger festgemachten Schiffe.

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Am Anleger der Doc Canh Insel in der Ha Long Bay 110 Kilometer östlich von Hanoi 23.02.09

Die Fahrt zurück war feuchtwarm und allmählich gegen Abend scheint sich die Sicht zu bessern... dafür beginnt nun die Sonne langsam hinter Hügeln und Wolken zu verschwinden. Die Fahrt mit dem Kleinbus zurück war rüttelig und ich kann nach diesem Tage sagen, dass vor dem Hintergrund der nervigen An- und Abfahrt sich nur ein zwei bis dreitägiger Aufenthalt - unter vernünftigen Bedingungen, bei deutlich besserer Witterung - wirklich lohnen würde.

Am darauf folgenden Morgen ging das Flugzeug bereits um 8:30 Uhr – vorher zwei Stunden zuvor einchecken – nach Vientiane, der Hauptstadt von Laos.

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Die Karte vom Flug von Hanoi dem Regierungssitz Vietnams zur laotischen Hauptstadt Vientiane.

Der Flug ist angenehm und beim Durchstoßen der immer dünner werdenden Wolkendecke spürt man schon hundert Kilometer vor der Ankunft beim Anflug das deutlich bessere Wetter. War ich bei feuchtkühler, nebelverhängter Witterung und ca. 14°C in das Flugzeug gestiegen, erklärte der Copilot beim Anflug nach dem einstündigen Flug, dass auf dem Flughafen von Vientiane 29“C herrschen würden.

Ich bin in einem einfachen Guesthouse in der Pang Kham (ohne Internetanschluss) untergekommen. Ich muss mich erst einmal an die völlig andere Witterung in Laos gewöhnen. Der Taxifahrer gab mir in gebrochenem Englisch zu verstehen, dass die tropischen Temperaturen vom thailändischen Issaan hier herüber ziehen würden. Der Issaan beginnt gleich jenseits des Mekong. Den nun völlig veränderten Fluss habe ich dann zu abendlicher Stunde bei immer noch hohen Temperaturen besucht. Auf das Essen wartend machte ich am inzwischen fast bis auf ein schmales Rinnsal ausgetrockneten Strom eine kleine Skizze von der untergehenden Sonne über dem gegenüberliegenden Si Chiangmai, das ich auf meiner Issaan-Mekongtour vor über drei Monaten kennen gelernt hatte und mit dem vergleichenden Begriff ‚...wie Dunkeldeutschland...’ titulierte.

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Sonnenuntergang über dem ausgetrockneten Mekong und dem gegenüberliegenden Si Chiangmai in Thailand.

Der Mekong ist hier Grenzfluss und dieses Mal bereise ich seine Ufer von der laotischen Seite. Aber zuvor möchte ich mir noch einige Tage Vientiane anschauen.

Am Donnerstag besuchte ich dann den That Luang eine große Tempelanlage im Nordosten der laotischen Hauptstadt. Die große Tempelanlage That Luang ist das! Wahrzeichen von Laos. Seit 1991 ziert dieses Heiligtum auch das laotische Staatswappen.

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That Luang das Wahrzeichen von Laos hier einmal aus einer ganz anderen Perspektive. Von außen aus einer Garküche am Rande des Heiligtums am 26.02.09 gemalt.

Die Stupa (Chedi) steht für laotische Kunst- und Architekturtradition. Was es genau mit diesem Tempel und seiner Umgebung auf sich hat, werde ich auf der nächsten Tagebuchseite (31), wenn ich mich am Mekong im Süden der Volksrepublik aufhalte, erläutern. In der Nacht vom Freitag auf den Samstag (27./28.), noch bevor diese Seite ins Netz gestellt wird, bin ich bereits mit dem V.I.P. - Nachtbus (mit Liegesitzen) auf dem Weg nach Pakxe im Süden von Laos, und von dort geht es dann weiter nach Champassak am Mekong.

In einem der vielen Internet-Cafés habe ich am Freitagnachmittag (27.02.) die Bestandteile der neuen Seite zusammenstellen, um sie nach Bremen zur Weiterverarbeitung zu verschicken. Bis zur nächsten Woche wünsche ich allen Daheimgebliebenen mindestens die Hälfte der Plusgrade, die ich gerade hier erlebe (das wären dann in Deutschland wenigstens 16°C).

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