Fernöstliches Tagebuch
von Helmut Rieländer
Seite 30, Teil 1 von 2
22. bis 28. Februar 2009
An dem besagten Freitag (20.02) fuhr ich, nachdem ich am Vormittag die Altstadt alleine erkundet hatte, mit Tung (Pham Son), dem Architekturstundenten, in Gegenden, in die man normalerweise als Tourist nicht ohne weiteres kommt. Er fuhr mit seinem Motorrad und mit mir hinten drauf in das Viertel nahe des West-Lake, deren Ufer und Bebauung mich fast an die Binnenalster Hamburgs erinnern ließ.
Blick von der Galerie und dem Café Máu-House auf den West-See /Westlake, einen toten Arm des Roten Flusses am 20.02.09
Wir tranken einen Kaffee in einer Galerie in der Plastiken und Töpferware gezeigt werden. Es nennt sich ‚Café Máu-house’. Leider ist das Wetter so unbeständig und regnerisch, dass ein Sitzen auf der Dachterrasse mit Blick auf den großen Binnensee nicht möglich ist.
Tung auf dem Dach der Galerie am Westlake in Hanoi 20.02.09
Der Westsee – West-Lake – ist ein toter Arm des Roten Flusses mit einem Umfang von mehr als 14 Kilometer, somit der größte See Hanois. Hier an der atmosphärisch angenehmen Uferchaussee lässt sich gut sitzen, speisen und auch wohnen. Das hatten schon vor Jahrhunderten die Kaiser festgestellt. Sie und auch ihre Mandarine ließen sich hier Sommerresidenzen bauen. Heute residiert hier die Politprominenz und ausländische Diplomaten... und die gibt es hier auch... eine Hand voll Neureicher. Es ist die beste Adresse in Hanoi.
Häuser an der Chaussee des Westlake in Hanoi 20.02.09
Aber auch architektonische Bausünden machen vor diesem kleinen Paradies nicht Halt. Tung fährt mich durch entlegene Stadtviertel, die noch ihren ganz besonderen ursprünglichen Charme versprühen. Mit seinem Motorrad sind diese entlegenen Orte schnell zu erreichen. Leider kann ich sie hier nicht abbilden, da das Wetter derartig schlecht wurde, dass wir bald das Hotel ansteuerten und uns für den nächsten Morgen zu einer Fahrt in die Umgebung von Hanoi verabredeten.
An diesem Samstag ging es wiederum bei regnerischem Wetter mittels Motorrad durch die tosende Hauptstadt Hanoi nach Nordwesten... hinaus aus der Stadt Richtung Son Tay. Tung wollte mir einen ganz besonderen Ort zeigen, in dem die Ursprünglichkeit Vietnams durch Bauten, Anlage und Straßenverläufe noch sichtbar sind.
Der Verkehr beim Verlassen der Hauptstadt mit seinen über sieben Millionen Einwohnern im Einzugsgebiet, erscheint hier noch dichter als in Saigon. Riesige Motorrad- und Mopedschwärme, Insekteninvasionen gleich, schieben sich über Kreisverkehre, breite Ausfallstraßen, Brücken und Tunnel, hinaus aus der brodelnden Stadt. Autos und Lkw sind Mangelware – alles bewegt sich auf zwei Rädern leicht lärmend und knatternd durch die Vororte hinaus aufs Land. Riesige Baustellen breiter Ausfallstraßen und große Billbords weisen auf neue, gerade im Entstehen begriffene Trabantenstädte hin.
Reisfeldbestellung im Nordwesten von Hanoi
Hinaus aus der Stadt, vorbei an archaisch wirkenden Ziegeleien, großen Reisanbauflächen, die teilweise von Gräbern der Angehörigen der Reisbauern bebaut sind, geht es aufs flache Land.
Gräber auf den Reisfeldern. Angehörige der Reisbauern werden auf eigener Scholle beigesetzt (hier scheinen es ausnehmend Christen zu sein).
Unser Ziel liegt über fünfzig Kilometer von Hanoi in nordwestlicher Richtung hinter Son Thay. In dem Ort mit dem Namen Duong Lam sind noch viele Häuser aus dem 16. Jahrhundert zu finden. Sie sind typisch für die Häuser in den Dörfern dieser Zeit im Norden Vietnams.
Tung fährt uns mit seinem Motorrad zum ‚Meetingpoint of the village’. Das wichtigste und präsenteste Gebäude liegt hinter einer großen Toreinfahrt umgeben von einer Mauer: Dinh Mông Phu.
Der ‚meetingpoint’ oder das Gemeindehaus des Dorfes Doung Lam das ‚Dinh Mong Phu’ am 21.02.09
Er bildet gleichfalls den Mittelpunkt des Ortes und wurde bereits im Jahre 1533 erbaut und 1859 noch einmal erweitert. Das Gebäude mit seinem geschwungenen Dach besteht aus einem Fundament, das mit einem hölzernen Podest verkleidet ist und vierzig massiven Eisenholzsäulen (Eisenholz = Clausiaceae in Südostasien und Südchina / Dichter als 1 kg pro Kubikdezimeter), die das große geschwungene Dach tragen. Kunstvolle Schnitzereien zieren die Deckenbalken und das Innere des Gemeindehauses.
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Balkenkopf zur Front des Hauses...................................Verzierte Balken, die den First tragen
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Holzrelief als Füllung.....................................................Füllung zwischen Säulen und Dachkonstruktion
Der Platz mit seinem Gemeindehaus darauf strahlt eine große fast archaisch erscheinende Ruhe aus. Nur sehr wenige Touristen – in der Zeit des Malens waren es keine zehn Personen - ‚verirren’ sich an diesen erhabenen ruhigen Ort.
Anschließend an den Besuch des Dinh Mong Phu besichtigen wir das unmittelbar in der Seitengasse des Platzes gelegene Haus des Nachfolgers Ho Chi Minhs als Sozialistischen Ministerpräsidenten, das Haus des Phan Ke Toai.
Wohnhaus des Nachfolgers Ho Chi Minhs als Präsident der Sozialistischen Republik Vietnam, Phan Ke Toai am 21.02.09
Nach dem Besuch des Hauses besehen wir uns noch einmal eingehender den Platz vor dem Gemeindehaus und der Pflasterung der angrenzenden Straßen. Der gesamte Platz, sowie der durch eine Mauer eingefriedete Vorplatz des Dinh Mong Phu, ist mit verfugten Ziegeln gepflastert. Auch die Gassen und die Wege zwischen den Häusern weisen diese dezidierte Pflasterung mit gleichem Material auf.
Nach der Fertigstellung der obigen Zeichnung machen Tung und ich einen Gang durch den interessanten Ort und kehren am Ende dieses Rundganges in einem der Häuser ein. Wir werden von den Bewohnern des ursprünglichen Hauses, einem pensionierten Mathematiklehrer, der in der nahe gelegenen Stadt Son Thay unterrichtet hat, mit einem Tee erwartet.
Wir werden auf einen Tee erwartet, extra für uns zubereitet.
Ich bekomme das Haus in seinem ganzen Ausmaß als ehemaligen Sitz eines Mandarins hier in Duong Lam zu sehen und in Details erklärt.
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Im Hof des Hauses des Mandarins................................Blick in die andere Richtung des Hofes
Balkenverzierungen im Wohnteil des ehemaligen Hauses des Mandarins
Detail der Balkenverzierung
Der Innenhof des ehemaligen Anwesens des Mandarins in seinem heute bewohnten Zustand 21.02.09
Hier ist bereits von japanischen Restaurateuren und Architekten erste Arbeit der Erhaltung der Gebäude geleistet worden. Leider nicht zur Zufriedenheit der Bewohner und auch nicht nach den Vorstellungen der einheimischen Mitarbeiter an dem Restaurierungsprojekt – so auch mein Bekannter Tung, der mich hierher geführt hat. Die restaurierenden Holzarbeiten sind im Detail nicht entsprechend ausgeführt worden. Weder Holzart noch Verbindungsmittel (Nägel!?!) stimmen mit den Ursprüngen überein. Es gilt noch viel zu tun an diesem interessanten Ort und an Projekten interessierte Architekten und Archäologen sind herzlich eingeladen, an dem Projekt mitzuarbeiten (cnct2007@yahoo.com.vn). Nach dem Besuch der Pagode, deren Räumlichkeiten durch verschiedenste Figuren reich geschmückt sind, und sich sehr viele Gemeindemitglieder andächtig im Zwiegespräch befindend, vor diesen Plastiken und ‚Dioramen’ aufhalten, machen es schwer, sich diesen Kunstwerken zu nähern.
Der Weg auf dem Motorrad zurück in die Millionenstadt ist dann wie die Reise in eine andere Welt. Wir sitzen noch länger zusammen, essen und unterhalten uns über das Gesehene.
Am folgenden Tage mache ich mich wieder alleine auf den Weg und besuche den ‚Literaturtempel’, dessen Begriff vielleicht von vielen Lesern missverständlich interpretiert werden könnte. Kaiser Ly Thanh Tong, als dritter Spross der Ly-Dynastie, ließ im Jahre 1070 diesen Tempel als Ort der Verehrung Konfuzius erbauen. Sein Nachfolger Ly Nhan Tong gründete als Erweiterung das ‚Quoc Tu Giam’ (das ‚Institut der Söhne des Landes’) im Nordhof die erste Universität auf vietnamesischem Boden.
Das Innere des Quoc Tu Giam im nördlichsten Hof eine Rekonstruktion aus dem letzten Jahrhundert auf dem Gelände des Van Mieu in Hanoi am 22.02.09
Die gesamte Anlage besteht aus einem langen, relativ schmalen Grundstück, aus einer streng gegliederten Abfolge von Toren, Höfen und diese Höfe umschließende Gebäude, dem eigentlichen Heiligtum vorgelagert.
In seiner ursprünglichen Nutzung war die Hauptallee in der Mitte dem Kaiser vorbehalten, die Mandarine hatten entsprechend ihrem Rang und ihrer Stellung die äußeren Tore und Wege zu benutzen. Die vier Prüfungsarten symbolisierend passiert man nacheinander vier Tore. Hinter dem Tor ‚Khue Van Cac’ (‚Tor und Pavillon’, letzterer war dem Schutzgeist der Dichter und Gelehrten geweiht und berühmt als Ort literarischer Debatten und Lesungen) öffnet sich der wichtigste Hof der Anlage. Hier wurde ich an den ‚Literaturtempel’ in Hue erinnert. Der Thien Quang Tinh (Hof der Stelen mit Brunnen der Himmlischen Klarheit) ist gleichfalls der wichtigste Hof der Anlage. Zu beiden Seiten des Brunnens der Himmlischen Klarheit befinden sich: „ ... 41 Stelen (bia) auf dem Rücken steinerner Schildkröten ruhen(d), dem Sinnbild für Weisheit und Dauer: Die Tafeln verewigen die Namen der 1306 Preisträger, die zwischen 1441 und 1779 als Sieger aus insgesamt 82 Literaturprüfungen hervorgegangen waren. Die Auswahlkriterien waren äußerst streng; 1733 bestanden von 3000 Kandidaten lediglich acht die 35 Tage dauernde Prüfung. Durch das Tor Dai Thanh (Großer Erfolg) betritt man den (vor- , der Verfasser) letzten Hof mit den Säulenhallen Ta Vu und Huu Vu, die dem „Kult der 72 Weisen“, der besten Schüler des Konfuzius, gewidmet waren (zu denen allerdings nur ein Vietnamese, Chu Van An, 1293 – 1370, gehörte). 1947 zerstört und 1954 wieder aufgebaut, dienen sie heute vornehmlich Ausstellungszwecken. An der Stirnseite des Hofes erhebt sich der Bai Duong, das Große Haus der Zeremonien. Auf dessen geschwungenem Dach sich zwei Drachen gegenüberstehen, die die Mondscheibe halten. Das Innere enthält einen Altar des Konfuzius, flankiert von zwei überdimensionalen Bronzekranichen, die dem Meister die Ergebnisse der Prüfungen zu melden hatte. Unmittelbar im Anschluss beginnt das eigentliche Heiligtum Dai Thanh“... (Ehrenhalle Großer Erfolg, Heiligtum des Konfuzius, der Verfasser) ...“ Vierzig Rot lackierte Säulen aus Ebenholz tragen das geschwungene, mit den Symbolen des Wissens und der Weisheit verzierte Dach. Im Inneren befindet sich ein vergoldeter Altar mit dem Standbild des Konfuzius, ihm zur Seite je zwei seiner Nachfolger und außerordentlicher Schüler. Am ersten Tag des Mondmonats pilgerten die Schüler des Quoc Tu Giam mit ihren Lehrern hierher, um dem Meister ihre Ehrerbietung darzubringen und die Erfolge der Studien zu erflehen.“ (aus: Bühler, W.-E. a.a.O. Seite 245 ff).