Fernöstliches Tagebuch
von Helmut Rieländer
Seite 29, Teil 2 von 2
15. bis 21. Februar 2009
Er setzt mich anschließend wieder an meinem Hotel ab, wo ich dann doch den Rest des Tages bei trockenem Brot und Wasser in meinem Zimmer verbringe, um meine Beschwerden auszukurieren. Erst am darauf folgenden Dienstag (17.02.) kann ich mich dann auf den Weg zur Zitadelle und dem Kaiserpalast machen.
Der Wissenschaftler Alexander B. Woodside schrieb im Jahre 1976 zur Kaiserstadt in Hue:
„Als Hue von 1802 ab als neue Kaiserstadt aufgebaut wurde, wurde sie als eine bewusste Kopie der chinesischen Hauptstadt Peking konstruiert. Ihre Mauern, Wälle, Tore, Gärten und Paläste wurden errichtet, um ganz bestimmte Mauern, Tore und Paläste in Peking zu imitieren. Wenn der vietnamesische Kaiser (der als einziger hoher Würdenträger seines Landes niemals einen Fuß auf chinesisches Territorium setzte) durch seine Kapitale ging, vollführte er die gleichen Bewegungen und die gleichen Rituale, die der Sohn des Himmels in Peking vollführte.“
Es gab in der Zeit von 1802 bis 1883 vier Kaiser, die von Hue I aus die Geschicke des Landes lenkten und das Volk regierten. Nach den fünf Kaisern der Nguyem Anh ,die sich in unterschiedlicher Weise nicht nur um die Belange ihres Volkes kümmerten, sondern auch ihr diplomatisches Geschick einzusetzen wussten, zerrann dem letzten dieser Erbfolge (Tu Duc, dessen Grabanlage ich am nächsten Tag dann besucht habe) Einfluss und Reichtum zwischen den Fingern. 1847 nahm französische Artillerie Da Nang unter Beschuss, 1859 besetzten französische Truppen Saigon und ab 1883 beherrschten französische Truppen und Beamte das gesamte Vietnam. Von da an ‚regierten’ die ‚Operettenkaiser’ nur noch auf Geheiß und unter Aufsicht der Besatzer. Das Volk schien nicht mehr hinter seiner Dynastie zu stehen; zu weit hatte sich der Hof vom gewöhnlichen Volk entfremdet. Es folgten acht weitere Kaiser bis 1925, die aber für Land und Hof praktisch keine Bedeutung mehr hatten. Der letzte ‚Kaiser’ ohne Volk und ‚Raum’, starb von Frankreichs, Japans und des amerikanischen Präsidenten Gnade, 1997 an der Côte d’ Azur.
Zurück blieb ein Hof, der dann neunzig Jahre später, während der Tet-Offensive im Frühjahr 1968 durch Truppen der Vietnamesischen Befreiungsfront und der Nordvietnamesischen Armee eingenommen wurde. Sie verteidigten die Stadt - sowie die Zitadelle mit der Kaiserstadt - drei Wochen erbittet gegen die Angriffe der amerikanischen Truppen und ihre südvietnamesischen Verbündeten. Artillerie und die Luftwaffe legten die halbe Stadt und wesentliche Teile der Kaiserstadt in Schutt und Asche. Anschließend erobern die US-Marines Hue in einem erbitterten Straßenkampf zurück. Sieben Jahre später – am 24.03.1975 - müssen die Truppen des Saigoner Regimes und ihre ‚amerikanischen Berater’ kampflos die Stadt und die Zitadelle räumen. Zurück blieben eine zerstörte Stadt und ein faktisch nicht mehr existierende kaiserliche Residenz.
Heute sind 13 der fast sechzig Gebäude wieder aufgebaut oder rekonstruiert. Diese habe ich vom Mittagstor kommend, am wolkenverhangenen Dienstag (17.02.) besucht.
Blick von der Treppe der Halle der Höchsten Harmonie (Dien Thai Hoa) auf das Mittagstor (Ngo Mon) bei aufkommendem Gewitter am 17.02.09
Der anschließende Gang führte mich durch die Halle der Höchsten Harmonie, durch die Goldene Pforte (Dai Cung Mon) nach rechts gewandt in die Halle der Mandarine. In einem Atelier und Verkaufsraum lerne ich hier die beiden Künstler Nguyen Thin Hueb und Hoang Thanh Phong kennen. Von Phong waren große Arbeiten in Acryl auf Leinwand zu sehen. Bei vielen Arbeiten muss man von ‚schneller Touristenware’ sprechen! Mich interessieren besonders die Pinsel und Federzeichnungen. Ich erwerbe zwei schöne, doch preisgünstige kleine Arbeiten. ‚Klein’, denn ich muss auch an den Transport im Rucksack denken. Die beiden – Phong & Hue - betreiben seit sieben Jahren ihre GaKkA – Art Gallery: WWW.PHONGHUEGALLERY.COM
Email: RICEPAPERART@YAHOO.COM
Mein Weg führt mich weiter über das weitläufige Gelände über den Lesepavillon (Thai Binh Lau) bis zum hinteren Nordtor (Hoa Binh). Auf der westlichen Seite der großen Anlage geht es zurück an Bauwerken, die in der Rekonstruktion begriffen sind, zum vorderen westlichen Teil, dem Generationentempel (The Mieu) und dem Tempel der kaiserlichen Ahnen (Hung Mieu).
Auf dem Weg zu Generationentempel (The Mieu) und Tempel der kaiserlichen Ahnen (Hung Mieu). Auf dem Gelände der Kaiserstadt in Hue am 17.02.
Auf der Rückseite des ‚Pavillons der Berühmten Seelen’ (Hien Lam Cac) befinden sich die Dynastischen Urnen (Cuu Dinh). Der Pavillon und die Urnen gehören zu dem Gesamtkomplex der Ahnenverehrung.
Kaiserpalast: Dynastische Urnen (Cuu Dinh) vor dem Pavillon der Berühmten Seelen ( Hien Lam Cac).
Mein Rundgang endete wieder am Mittagstor und dem Ausgang mit dem Blick auf den Wehrturm der Zitadelle zum Huong-Fluss weisend. An der riesigen Fahnenstange weht seit 34 Jahren die Flagge der Sozialistischen Republik Vietnams (rote Fahne mit fünfzackigem gelbem Stern), so wie die 26 Tage zuvor im Jahre 1968, nach der Tet-Offensive.
Ich fahre mit einem Mopedfahrer – es ist inzwischen wieder sonnig und recht warm geworden - wieder in Richtung des Hotels und verabrede mit dem netten jungen Mann für den letzten Vormittag meines Aufenthaltes hier in Hue, eine vierstündige Rundfahrt vorbei an verschiedenen Sehenswürdigkeiten Hues, um den ‚verlorenen Tag’ wieder wettzumachen.
In der Nacht werde ich in meinem Hotelzimmer vom heftigen Getrommel des Regens auf einem benachbarten Blechdach geweckt. Auch am Morgen des Mittwochs (18.02.) lässt die Regentätigkeit keinen Deut nach. Ich vertröste Tien – so heißt mein freundlicher Fahrer – auf zehn Uhr und beginne derweil Vorbereitungen für die neue Tagebuchseite zu treffen. Um es kurz zu machen, erst um 12:00 Uhr hat der Regen soweit nachgelassen, dass einer Fahrt nichts mehr im Wege steht.
Zuerst fahren wir an den Stadtrand zum Grab des sehr glücklosen fünften Kaiser Tu Duc, der 36 Jahre regierte: von Beschießung Da Nangs 1847 bis zur endgültigen Eroberung Hanois 1883 durch die Französischen Truppen – so seine ‚Amtszeit’. Der Nachwelt präsentiert sich dieser – als sehr kleinwüchsig geltende Kaiser – als feinsinniger Poet, der sich nach Aussage der Reiseliteraturschreiber, ‚schwärmerischen Stimmungen hingab’. Entsprechend ist die Gestaltung seiner letzten Ruhestätte, deren Planung und Bau er bis ins Detail persönlich beaufsichtigte, ausgefallen. Hier nur ein Bild bei regnerischem Wetter.
Der Xung-Khiem-Pavillon über dem Luu-Khiem-See auf dem Gelände des Grabes des 5. Kaisers des Tu Duc,am 18.02.
Von dort ging es im inzwischen strömenden Regen zum Nam Giao, das auf dem Wege zurück in die Stadt lag. Am Nam Giao – das für mich von weitem wie ein überdimensionales Elefantenklo mit Treppe aussah – brachten die Kaiser alle drei Jahre in einem Ritual den Mächten des Himmels und der Erde Schlachtopfer dar. Da für mich dieses Bauwerk architektonisch völlig uninteressant erschien, existiert hiervon kein Foto. Weiter ging es in die Stadt, über die Brücke des Song Huong und auf der anderen Seite des Flusses wieder hinaus aus der Stadt zum Chua Thien Mu.
Chua Thien Mu mit dem achteckigen Phuoc-Duyen-Turm (21 Meter hoch) fünf Kilometer westlich von Hue am 18.02.
Nach der Legende erschien Nguyen Hoang, dem Gouverneur von Thuan Hoa, der damals südlichen Provinz Vietnams, 1601 eine Himmlische oder Gnädige Frau (Thien Mu oder Linh Mu), die ihm in der Gestalt eines alten Weibes den Platz seiner zukünftigen Hauptstadt Hue weissagte. Der Nachfahre der späteren Nguyen –Dynastie folgte dieser Weisung, brachte seinem Land Wohlstand und Glück und errichtete aus Dankbarkeit an dem Platz, an dem er der Thien Mu begegnete, die Pagode und den Turm.
Nicht weit von der Pagode liegt noch ein Stück weiter stadtauswärts der Vang Mieu, der so genannte Literaturtempel.
Portal des Literaturtempels Vang Mieu sieben Kilometer von Hue am 18.02.
Parallel zur Bestimmung Hues zur Kaiserstadt durch Gia Long veranlasste dieser auch, die Vang Mieu, die für den Staat so wichtige Mandarinats-Prüfung, möglich zu machen. Diese Prüfungen, die alle drei Jahre abgehalten wurden, fanden hier bei Hue bis 1918 statt. Stelen mit Schrifttafeln, getragen von Riesenschildkröten, zeugen in langen Pavillons auf dem Gelände von den erfolgreichen Kandidaten.
Schildkröten mit Schrifttafeln auf ihrem Panzer, die u.a. von den erfolgreichen Absolventen der Mandarinats-Prüfung zeugen. Bei Hue am 18.02.
Von der ‚Bibliothek’ ging es wieder zurück ein Stück durch die Stadt zu einem der vielen Wohnhäuser, in denen der ehemalige und erste Präsident der Sozialistischen Republik Vietnams Teile seiner Kindheit verbrachte.
Das Wohnhaus der Eltern Ho Chi Minhs in Hue, in dem er Anfang des letzten Jahrhunderts wesentliche Jahre seiner Jugend zubrachte.
Eine nette junge Dame führte mich herum und gab mir Erläuterungen zu den Exponaten, zu deren Gebrauch und zu historischen Daten der Familie und zum Leben von ‚Onkel Ho’.
Das Innere des Wohnhauses aus der Jugendzeit des ersten vietnamesischen Präsidenten am 18.02.
Für den frühen Abend verabredete ich mich mit meinem Motorradfahrer Tiem (Le Duc Tiem) für den Transport meiner Person und des Gepäcks zum Bahnhof von Hue.
Der Schlafwagen und die Schlafbedingungen sind dieses Mal weitaus besser und ich kann auf der über siebenhundert Kilometer langen Fahrt von Hue nach Hanoi gut und entspannt schlafen.
Karte von Südostasien und der Fahrt von Hue nach Hanoi am 18./ 19.02.
Kurz nach sechs wecken mich die ersten Lichtstrahlen und beim Hinausschauen sieht man kilometerweit Reisfelder, Reisfelder, Reis... ... auch viele, die unter Wasser stehen.
Reisfelder, zweieinhalb Stunden vor Hanoi 19.02.09.
Das von Tung – dem Architekturstudenten – vorgeschlagene Backpacker Hostel ist belegt, somit komme ich gegenüber in einem kleinen preisgünstigen Hotelzimmer mit Internetanschluss (wichtig für die 29. Seite) nach meiner Ankunft in Hanoi unter. Nach kurzer Ruhe- und Erfrischungsphase nach der vierzehnstündigen Bahnfahrt, habe ich mich für den morgigen Freitag mit Tung zwecks kundiger Stadtführung telefonisch verabredet. Anschließend erkundete ich die Altstadt von Hanoi, in deren Zentrum das kleine Hotel liegt.
Straßenszene in Hanois Altstadt am 19.02.09
Mein weiterer Streifzug führte mich zum Hoan Kiem See. Am Dinh Tien Hoang setze ich mich auf eine kleine Mauer am Wasser und beginne eine Zeichnung in meinem Skizzenbuch (nur noch zehn Seiten übrig!), von der auf einer kleinen Insel in der Mitte des Sees liegenden Pagode. Ich wundere mich schon, dass vor dem Hintergrund der vielen Menschen sich niemand zu mir gesellt... und schon sitzt Thiem neben mir. Er ist Ingenieurstudent hier in Hanoi und bewundert es in welcher Geschwindigkeit ich die Zeichnung gefertigt habe.
Pagode auf der Insel des Hoan Kiem Sees in der Altstadt von Hanoi am 19.02.09
Nach dem Kolorieren, es wird schon langsam dämmerig, frage ich ihn nach einem Geschäft, das auch Haarspray führt; Zweck des Haarsprays ist die preisgünstige Fixierung der Zeichnungen. Er geleitet mich zu einem großen Kaufhaus. Somit komme ich an diesem frühen Abend nicht nur zu einer neuen Dose Haarspray, sondern auch zu meinem ersten Besuch eines sehr ‚feudalen’ Supermarktes in Viertnam.
Thiem (Vu Ngoc Thiem Ngocthiem3g@gmail.com) geleitet mich zurück in die Nähe meines Hotels, verabschiedet sich und freut sich, demnächst mit mir per Mail in Kontakt zu treten.
Morgen geht es mit dem Architekturstudenten Tung auf Entdeckungstour durch Hanoi und am Wochenende an die Ho Long Bay im Nordosten der Stadt.
Darüber aber erst in der nächsten Woche, dann aus Laos.