Fernöstliches Tagebuch
von Helmut Rieländer
Seite 5
31. August - 6. September 2008
Der Samstag nach meiner Rückkehr nach Chiang Rai war weitgehend damit ausgefüllt, die Zeichnungen und Skizzen zu überarbeiten, ab zu fotografieren und zu digitalisieren sowie den zusammenfassenden Text für die Tagebuchseite zu schreiben. Die Resonanz auf meine kleinen Berichte wächst zunehmend, was für mich natürlich erfreulich ist. So bekomme ich viele Anfragen zur gegenwärtigen politischen Entwicklung im Lande. Da musste ich – aus in der letzten Woche beschriebenen Gründen – auf deutsche Presseberichte zurückgreifen. Auch bedanke ich mich für Zuschriften, die helfen können, die Lage und ihre Hintergründe besser zu begreifen (hier sei besonders meinem Bruder Klaus und Jutta Schmidt aus Bremerhaven gedankt). Aber der Reihe nach.
Am Sonntag herrschte eine unerträgliche Schwüle und Hitze, so dass ich mich nur schwer nach der doch ereignisreichen Woche aufraffen konnte. Geplant war für den Nachmittag ein Apfelkuchenessen bei Kobkun und Chamnan. Am Samstag hatte ich 20 große feste Äpfel (Neuseeland?!) und Weizenmehl und Eier besorgt. Backpulver und Vanillezucker hatte ich aus Deutschland mitgebracht. Leider stellte sich dann durch Missverständnisse heraus, dass im Haushalt der Familie – auch in meinem Hause – kein Backofen, sondern nur eine Mikrowelle vorhanden ist. So ist das mit den unterschiedlichen Essgewohnheiten, der thailändischen Garküche und das Brot backen in Deutschland. In den meisten thailändischen Küchen gibt es keinen Backofen und ich stelle nun fest, wie häufig ich zu Hause meinen Backofen zur Essenzubereitung nutze. An diesem besagten Sonntag sorgte erst ein ordentlicher Wolkenbruch so gegen 18:00 Uhr – also kurz vor Einbruch der Dunkelheit – für eine kurze Abkühlung.
Am Montag dann mit dem Rad bei gleißendem Sonnenschein quer durch die Stadt an den Mae Nam Kok (Mutter Wasser Kok) gefahren, um mich dort auf eine der Treppen, die zu den kleinen ‚Landungsstegen’ führen, zu setzen und die Boote und das gegenüberliegende Flussufer des Mae Nam Kok zu malen.
Anleger am Mae Nam Kok in Chiang Rai (01.09.08)
Mae Fa Luang Bridge am Mae Nam Kok in Chiang Rai (01.09.08)
Die Schnellboote mit Außenborder oder anderen starken Motoren – häufig Marke ‚Eigenbau’ – fahren zu längeren Bootstouren nach Thatou. Der Ort in den Bergen nahe der Grenze von Myanmar(Burma), soll recht klein, aber sehr schön gelegen sein mit schönen Aussichtspunkten und einem schönen hölzernen Wat. Auf dem Rückweg vom Fluss noch am Markt Zutaten für scharfes Huhn in Gemüse und Reis eingekauft. Zuhause haben mich erste Zuschriften bezüglich der Entwicklung im Lande und meinen Darstellungen erreicht. (mail/ Axel aus Laos).
Am Dienstag nach Schweiß treibendem Säubern des Hauses – es ist wieder sehr drückend und schwül – zum nahe gelegenen neuen Busbahnhof am Rande von Chiang Rai geradelt, um Kobkun in ihrem gerade fertig gestellten und gestern eingeweihten Café-Häuschen zu besuchen.
Kobkuns Café-Häuschen am Busbahnhof II in Chiang Rai
Kaffee und Eis zu mir genommen und abends Chamnan bei der ‚Erforschung und Entschlüsselung des Deutschen Sozialen Versicherungssystemes behilflich gewesen.
In den beiden darauf folgenden Tagen habe ich mich viel mit dem Fahrrad in östlicher Richtung bewegt. Am Mittwoch (3.Sept.) über die A2 zum Ban San Klang gefahren. Auch hier bei der Bauern- und Landhausbebauung prallen Arm und Reich aufeinander: ärmliche Hütten stehen neben prächtigen ‚Herrenhäusern’. Beide haben eines gemeinsam: sie sind aufgeständert (stehen auf Pfählen). Das ist typisch für die nordthailändische ländliche Hausbauweise. Ich werde in einem der nächsten Berichte näher darauf eingehen.
Von der Strecke vorbei an Ban San Klang ging es dann rechts auf die 1020 zum Ban Rong Than und (zum Dorftempel) Wat Rong Than. Dieser Tempel befindet sich noch im Bau. Auch hier – wie bereits auf anderen Baustellen gesehen - die für meine Augen erstaunliche Gerüstbaukonstruktionen bestehend aus dicken Bambusstangen, verbunden durch Fahrradmäntel.
Weiter Richtung Südosten zum Ban Tha Sai bis zur Brücke des Mae Nam Lao (Mutter Wasser Laos) geradelt. Dort steht direkt an der Brücke eine Windmühle!. ‚Ich glaube ich bin in Holland’.
‚Ich glaube, ich bin in Holland!’ Windmühle an der Brücke über den Mae Nam Lao.
Anschließend zur Hauptstraße zurück und von dort dann links in die Straße zum Ban Pa Hat eingebogen. Ein Kaffee-Trinken an Kobkuns Café-Häuschen schloss diese kleine Radtour ab. Zufällig Chamnan dort getroffen. Mit ihm einen Freund aufgesucht, um die Burmesischen Tempelfiguren, die ich in Ching Mai erstanden hatte, in Augenschein zu nehmen. Leider stellten sie sich eher als Fälschungen heraus – wahrscheinlich Zinnabgüsse (in zwei Formen abgegossen). Um die Naht zu ‚vertuschen’ wurden die Figuren für einige Zeit in der Erde verscharrt und mit unterschiedlichen Chemikalien zur Oxidation gebracht... höchst wahrscheinlich also Fälschungen (Abgüsse von wertvollen Originalen, sehr ähnlich wie eine Figur, die ich vor eineinhalb Jahren erstand – diese war echt!). Um mich etwas zu trösten, führte mich Chamnan in die 9 Art Gallery/ Architect Studio in Chiang Rai, um Arbeiten der Künstlerin Suppharat Ratcharin anzuschauen. Ihre Ölbilder größeren Ausmaßes weisen große Ähnlichkeit mit denen der amerikanischen Künstlerin O’ Keefe auf. Große erotische Blüten und z.T. malerisch eingearbeitete Stoffmuster. Nicht uninteressant, sehr starke weiche, fließende Ölmalerei. Anschließend zum Wat Doi Ngam Mueng hinauf gefahren. Hier den Mönch des Wat und Chamnans ehemaligen Studienfreund der Rechtswissenschaft besucht. Bestandteil des Wat ist eine Statue des Stadtgründers der Stadt Chiang Rai und König des Reiches Lanna (1262) Mengrai.
Im Anschluss noch das Wat Phra That Doi Thong angesteuert und den Ausblick über das saftige Grün und die Umgebung Richtung Nordwesten genossen.
Blick nach Nordwesten vom Wat Phra Doi Thong.
Die Terrasse mit Dach und Inschrift wurde für eine wohlhabende Verstorbene geschaffen. Die Inschrift bedeutet auf Englisch:’ Given for mother Saja Duang Mali / 12. Sept. 1995’ (Nach buddhistischer Zeitrechnung schreiben wir jetzt das Jahr 2551)
An diesem Mittwoch bestand wieder eine sehr unklare Nachrichtenlage über die Entwicklungen in Bangkok. Einige Informationen aus Deutschland (mails und Nachrichten aus dem Internet) sollten Klarheit bringen. Aber Geschehnisse zeigen weder Hintergründe noch Ursachen von Demonstrationen und Unruhen auf.
An die etwas verschlossenen Leute hier im Norden ist nicht so leicht heranzukommen. Sie halten sich sehr zurück. Thailand gibt insgesamt gesehen politisch ein sehr uneinheitliches Bild ab. Auf Nachfrage ist es so, dass ‚die Leute’ in Bangkok und ‚Im Süden’ etwas anderes wollen – sich anders fühlen – als der Rest des Königreiches. Der König... eine integrierende Figur oder eine Orientierung, die zeitlich begrenzt ist?! Noch scheint – so wie es bei krisenhaften Entwicklungen in der Vergangenheit war - seine bloße Existenz das Reich zusammen zu halten.
Aber in welche Richtung steuert Thailand, nachdem die Taksim (T. Shinawatra) abgewirtschaftet und sich bereichert hatte? Taksim glaubte während seiner Amtszeit die Wirtschaft durch Großprojekte wieder anzukurbeln. Eines davon war der Bangkoker Flughafen Suvarnabhumi (3,2 Mrd €!). Bei diesem, aber auch bei diversen an deren Projekten, sollen nach Untersuchungen T. Shinawatra (Premierminister) und seine Gefolgschaft finanziell nicht unerheblich profitiert haben. Einer seiner damaligen Mitstreiter Sondhi Limthongkul – beide Mitte des letzten Jahrzehnts in den Medien und Telekommunikation groß im Geschäft, als reiche, auch politisch einflussreiche Personen Thailands – ist heute wie auch damals beim Sturz Taksins ein wichtiger, einflussreicher Sprecher dieser „Volksallianz für Demokratie“. Als Medienmogul von Thailand mit Zeitungen und Zeitschriften im Rücken, führt er den „ideologischen Kampf“ für „einen Sturz von unten“: Dabei spielen für ihn Thailand und der König eine herausragende Rolle. Ideologisch ist das Land gespalten. Dem armen Nordosten wird käufliche Wählerschaft vorgeworfen. Dem Süden und Bangkok ideologische Rädelsführerschaft (schon früher und immer wieder als Bangkoksyndrom bezeichnet). Der Rest des Landes – so scheint es – hofft, dass König Bhumipol Adulyadej es schon richten wird, Thailand „vor dem politischen Chaos“ zu bewahren.
Der Vorwurf des Machtmissbrauches und Korruption und Manipulation stehen im Raum und bedürfen einer schnellen Klärung. Die neue Regierung des Regierungschefs Samat Sundaravej hat nach Ausrufung des Ausnahmezustandes mit seinem Personal den nunmehr von rund 20 000 Anhängern der „Volksallianz für Demokratie“ („Arme, Reiche, Junge, Alte, Mönche...“) belagerten Regierungspalast in Bangkok verlassen. Die Armee verhält sich noch ruhig. Es soll schon einen Toten und 44 Verletzte gegeben haben. Im übrigen Land ist es bis auf einige Kundgebungen und kleinere Demonstrationen – z.B. heute von ca. 20 – 30 Personen mit roten Stirnbändern am Rande der A2 kurz vor ‚Big C’ – ruhig. Die Uneinigkeit und zum Teil auch das Desinteresse der Thailänder gerade dem Geschehen in ihrer Hauptstadt gibt mir gerade nicht das Gefühl der Sicherheit. ( Inform. aus: www. spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,5757709,00htm und Süddeutsche Zeitung vom 3.9.08)
Ich freue mich über Zuschriften und werde weiter berichten und beobachten. ... So wie mich seit ca. zwei Tagen einen Gecko oder ‚Lizard’ (zu Deutsch Eidechse) im Bad beim morgendlichen Duschen beobachtet.
Gecko im Badezimmer am 02. + 03.09./1,5- fache Vergrößerung
Meines Wissens können Eidechsen weder an glatten Kacheln hochrennen, noch sich an der Zimmerdecke bewegen. Ich bitte um aufklärende Zuschriften von Zoologen?! Ich habe diesen kleinen Scheißer aber inzwischen wieder vor das Haus expediert und er schaut abends durch das Fliegengitter vor Türen und Fenstern und fängt Fliegen und Mücken fort.
Am Donnerstag (5.Sept.) habe ich noch eine etwas ausgedehntere Radtour nach Wiang Chai östlich von Chiang Rai gemacht. Zuerst die ‚alte Strecke’ nach Tha Sai gefahren, dann von dort bis Ban Hua Doi. Dort auf die 1152 bis Ban Chai Charoen ... hier in die 1173 nach links Richtung Wing Chai abgebogen. Kurz nachdem die Straße in Ban Dai Ku Kaeo einen scharfen Knick nach rechts macht, von lautem Geknalle fast vom Rad gefallen. Vor mir plötzlich eine Prozession mit absperrendem Verkehrspolizisten, beschirmten Menschen – ca. 50 – 60 - und einem Gammelan-artigen Orchester auf einem offenen Pick-up.
Trauerzug in Ban Doi Ku Kaeo an der 1173 auf dem Weg nach Wiang Chai (04.09.08)
Davor ein kleiner fahrender Wat mit dunkel gekleideten Personen, die sich in das auf einen Lastwagen montiertes Wat beugen. Drinnen ein großer heller Kasten – und draußen auf der Ladefläche sind Blumen und Gestecke niedergelegt. Die Prozession biegt nun nach rechts von der Straße ab und bewegt sich auf ein bewaldetes Stück zu, in dem ein goldglänzendes Wat auszumachen ist. Wieder wirft einer der etwas am Rande des Zuges laufenden einige laute, qualmende Knaller in den fast ausgetrockneten Bewässerungsgraben. Es ballert gleich mehrfach...und alle freuen sich, besonders der Akteur. Die Prozession verschwindet in dem Gebüsch, genauso plötzlich wie sie vor mir auftauchte. Die Trauerprozession hielt anschließend – auf Nachfrage – vor der Einäscherung eine Trauerfeier im Wat ab. Für die ‚Knallerei gibt es zwei Varianten der Erklärung: die erste besagt, dass der Tote schneller ins Paradies geschickt werden soll ... die zweite Erklärung geht in die Richtung der Vertreibung von bösen Geistern. Dies soll von Landstrich zu Landstrich verschieden interpretiert werden.
Nach ca. einer halben Stunde hatte ich den Flecken Wiang Chai 16 km von Chiang Rai erreicht. Ein verschlafenes Straßendorf mit wenig attraktiven Lokalitäten wurde dann doch hinter mir gelassen. Es gab scheinbar keine Garküche, geschweige denn Restaurant, mit schönem Ausblick zum Zeichnen oder Skizzieren. Also fuhr ich wieder entnervt zurück Richtung Chiang Rai. Eine etwas andere Strecke, dieses Mal in nordwestlicher Richtung.... fast 16 km! Zwischenzeitlich klebte mir die Zunge am Gaumen, denn es war wieder glühend heiß geworden. Nun träumte ich nicht nur von einer Nudelsuppe, sondern auch von einem, nein zwei Gläsern kaltem Wasser mit Eiswürfeln. Dieser Gedanke ließ mich bis zwei drei Kilometer vor Chiang Rai nicht mehr los. Plötzlich das Pepsi –Zeichen mit Thaibuchstaben ...und sofort eingekehrt! Es war trotz der inzwischen 16:00 Uhr immer noch unerträglich heiß.
Das große Lokal machte einen geschlossenen Eindruck. Mit meinem Auftauchen schien alles zum Leben zu erwachen. Ich nahm in einer kleinen Hütte mit Tisch und Bänken über dem Wasser ‚schwebend’ Platz und ließ das gesamte Ambiente auf mich wirken: ein Gebäude in Form eines Siedlerkarrens aus dem ‚Wilden Westen’, einer Deichsel und zwei Büffeln (weiß mit Höckern) zierte den rechten Teil – mein Gegenüber – des Gartenrestaurants. Dazwischen ein größeres ‚Schwimmbecken’ mit riesigem Springbrunnen. Dazu spielte Western-Musik ‚Lonesome Cowboy’ etc., unglaublich. Eine derartige Entgleisung war mir hier in Nordthailand noch nicht zu Teil geworden.
Restaurant Iorgwein am Rande von Chiang Rai
Der ganze Garten war mit Pilzen, Fröschen und anderem Getier geziert. Wasser, Bier und Gemüse mit Gambas mundeten wunderbar. Nach der schnellen, nicht so gelungenen Skizze zurück nach Chiang Rai. Am Freitag viel gezeichnet und eine Fahrkarte für die nächste Tour nach Zentralthailand, nach Sukhothai am Busbahnhof in Chiang Rai besorgt. Es ist eine Ruinen- und Ausgrabungsstätte mit hohem historischem Wert. Sie gilt als die imposanteste in Thailand und war 1238 -1358 die erste Hauptstadt des jungen Thailands. Nach diesem Besuch möchte ich mir noch die Orte Phrae, Phayao und Nan im Nordosten anschauen.
Ich werde mich dann am nächsten Samstag mit einem ausführlichen Bericht wieder melden.