HELMUT RIELÄNDER | ||
In dieser Zeit nächtlicher Pein, Aufreibens mit bepacktem Drahtesel und Irrens auf der Suche nach Briefkastenschlitzen in unbeleuchteten Hauseingängen erzählte mir Freund Hermann von einer möglichen Tätigkeit an einer Schule, in der auch er als Rentner mit einigen Stunden Anstellung gefunden hatte.
Nach einem Monat Zustellertätigkeit stellte ich mich in dieser Schule vor und ich fand in der Dependance einer sog. ‚Werkschule’ eine vorübergehende Anstellung als Klassenlehrer einer neu eingerichteten Klasse. Es waren Schüler, die in der Regelschule aus unterschiedlichen Gründen gescheitert waren und nun über praktische Fächer (wie Gärtnerei, Arbeit in der Schulküche, handwerkliche Arbeiten in Holzwerkstätten oder im Verkauf und der Werbung von erstellten Produkten) einen neuen Zugang zu geregeltem Unterricht gewinnen und sich für den zuvor nicht erreichten Schulabschluss qualifizieren sollten.
Diese Unterrichtstätigkeit unterschied sich allerdings sehr weitgehend von meiner vorherigen 35-jahrigen Lehrertätigkeit in den Jahren 1979 bis 2014. Damals war ich zunächst für die theoretische und z.T. auch praktische Ausbildung von Tischlern während ihrer drei Ausbildungsjahre zuständig. Anschließend lagen meine Tätigkeitsschwerpunkte in der ästhetischen Ausbildung (einschließlich Kunstgeschichte) von Gymnasiasten, die grafische, innenarchitektonische und Design-Ausbildung von Fachoberschülern, Grundlagen des Zeichnens, der Malerei, des Aktzeichnens in unterschiedlichen ‚Studiokursen’ und in späteren Jahren dann die Ausbildung zum Gestaltungstechnischen Assistenten (Schwerpunkt: Produktdesign). Daneben hatte ich zu Beginn meiner Lehrertätigkeit als Geschichts- und Politiklehrer einige Jahre in sog. Integrationskursen (Gemeinsames Unterrichten des Faches Politik von Berufsschülern, Fachoberschülern und Gymnasiasten in einem Klassenverband) gearbeitet und dabei Erfahrungen mit der Vermittlung gesellschaftlich relevanter, aktueller Themen und Problemstellungen für sehr unterschiedlichen Schülergruppen gewonnen.
Nun ein ganz anderes ‚Klientel’: junge, pubertierende Schülerinnen und Schüler, zwischen Schulverweigerung, großen Defiziten, was Konzentration und Aneignung von Wissen angeht, und unterschiedlicher kultureller Herkunft (aus Polen, Russland, Albanien, Türkei, Syrien, Irak, Indien und einige aus Deutschland). Viele von ihnen waren zwar in Deutschland geboren, ihre Erziehung fand aber bislang primär im Familienverband entsprechend der jeweiligen kulturellen und politischen Gepflogenheiten statt. So wundert es nicht, dass die politischen Ideale und Idole sich an den Herkunftsländern der Eltern und Großeltern orientieren: Stärke, Macht und striktes Herrschen werden als natürliche Grundlagen des Überlebens angesehen. Die Idole, an denen sie sich orientieren, stießen bei den meisten der unterrichtenden Lehrer auf Ablehnung. Unter den Vorbildern – von Erdogan über Saddam Hussein bis Hitler – waren alle Protagonisten der Schrecken der Menschheitsgeschichte zu finden. Vorbilder, die fernab von unserem politischen Habitus, unseren Idealen und unserem Umgang miteinander liegen. Es liegt ein Menschenbild zu Grunde, welches auf Führergestalten sowie patriarchalischem und hierarchischem Denken und Verhalten basiert. Einig waren sich die meisten allerdings in ihrer Ablehnung des hellhaarigen Wesens, das als neuer Amtsträger in einem maßgeblichen westlichen Land jenseits des Ozeans fungiert (... aber wohl deswegen, weil er sich sofort gegen den Zuzug von Moslems in sein Land ausgesprochen hatte?!)
Unter anderem unterrichtete ich auch Politik (und ein wenig Geschichte) in einer fortgeschrittenen Klasse, in der AfD-Fans und rechtes Gedankengut, vor allen Dingen bei den männlichen Mitschülern, stark vertreten waren.
Ich thematisierte aktuelle Geschichte (Wahlen), aber auch historischen Themen. So nahm ich den U-Boot-Werftbunker ‚Valentin’ in Bremen-Nord als anschauliches Objekt zum Anlass, die Geschichte ab 1933 und der Kriegszeit zwischen 1939 bis `45 zu vermitteln. Auch die Zeit davor und der europäische Nationalismus zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, der dann u.a. zum 1. Weltkrieg führte, war für die meisten Neuland, da es über diese Zeit bei den Schülerinnen und Schülern so gut wie keine Kenntnisse gab.
Mir erschien diese historische Aufarbeitung angemessen, um die Wichtigkeit des europäischen Gedankens für die Gegenwart hervorzuheben. Aus dem verlorenen 1. Weltkrieg führt dann eine fast direkte Verbindung zum Aufkommen des deutschen Faschismus und dem sich daraus ergebenden 2. Weltkrieg.
Mit dem Besuch des U-Boot-Werftbunkers versuchte ich, ein unter Zwangsarbeit, Kriegsgefangenenarbeit und KZ-Häftlingsarbeit entstandenes ‚Monsterbauwerk’ einzuordnen.
Besuch des ehemaligen U-Boot- Werftbunkers in Bremen-Farge (Bremen-Nord) mit einigen Schülern der Werkschule im Ende April 2018 (hier mit dem Koll. Rothkegel rechts vor der Skulptur des Bremer Bildhauers Fritz Stein)