HELMUT RIELÄNDER | ||
Der Roman von Margaret Landon beleuchtet eingehend die Selbstherrlichkeit und Härte, mit der Mongkut an seinem Hof und über die thailändische Gesellschaft regierte und unter der auch die Lehrerin Leonowens, wie es im Roman heißt, zu leiden hatte. Seine Herrschaft basierte nach Aussage der Autorin auf Sklaverei, Bestechung, Vielweiberei, Scheingerichtsbarkeit, Folter und Unterdrückung auf allen Ebenen. Milderung im Tatendrang des Despoten war nur auf den Einfluss des Premiers Phya Kralahome zurückzuführen.
Die Autorin selbst bewertet ihren Roman als ‚zu 75 Prozent aus Fakten bestehen(d) und zu 25 Prozent aus Erzählungen, die auf Tatsachen basieren.’
Die Geschichte Leonowens wurde auch mehrmals verfilmt – die Filme dürfen aber in Thailand wegen angeblicher Geschichtsklitterung und Majestätsbeleidigung nicht gezeigt werden.
Den ‚Wechsel vom Ich-Erzähler in einen auktorialen Erzähler’ umschreibt sie als vertretbare Stiländerung im Roman.
Die Erzieherin, um deren Geschichte und Wirken am siamesischen Hof es geht, übernimmt nach Auffassung von Landon und der Regisseure der beiden Filme ‚Anna und der König’ von 1946 und 1999 die aufopfernde und engagierte Rolle einer Europäerin, die versucht hat, Humanität und eine umfassende Bildung in ihrem Unterricht, in ihrem Wirken und Leben zu vermitteln.
Der über fünfjährige Aufenthalt kräftemäßig und gesundheitlich sehr an Leonowens gezehrt und ‚hätte sie fast das Leben’ gekostet.
Was die Lage Siams betraf, schrieb Anna, kurz bevor sie Bangkok verließ (Sommer 1867 d.V.):
„Der körperliche und geistige Gesundheitszustand des Königs (Mongkut d.V.) verschlechtert sich unglaublich schnell, und auch sein Regime weist deutliche Anzeichen der Schwäche auf, wenn er weiter seine eigenen Wege geht. Alle wesentlichen Erfolge seiner Herrschaft sind auf die Fähigkeiten und Tatkraft seines Premiers, Phya Kralahome, zurückzuführen, und selbst dessen Macht hat gelitten. Literatur und Künste sind rückläufig, das Kunstgewerbe hat viel von seiner Bedeutung verloren, und die gesamte Nation hat sich dem Spielteufel verschrieben.
Die Regierung hat zwar bedeutende Reformen durchgeführt, doch die Lage der Sklaven ist derart schlecht, dass sie Erstaunen und Schrecken hervorrufen muss. Wie das endgültige Schicksals Siams unter diesem verabscheuenswerten System aussehen mag und ob es sich jemals von den Fesseln befreien wird, kann niemand erraten.“
„Wann immer sie an Prinz Chulalongkorn und andere Schüler dachte, die zur neuen Generation, zur Zukunft dieses Landes gehörten, stieg ein wenig Hoffnung in ihr auf.“
(aus: Landon, Margaret; Der König und ich; München 2000; Seite 432f)
Zeitgenössisches Ölbild von Anna Leonowens in fortgeschrittenem Alter
Die unter König Chulalongkorn durchgeführten Reformen zwischen 1870 und 1874:
1) Modernisierung und Zentralisierung des Finanzwesens
a) Amt für Rechnungsprüfung
b) Aufbau einer Finanzbehörde Ho Tatasadakon
(nach europäischem Vorbild)
c) Strenge Aufsicht über die Steuerpächter (Verhinderung von
Absprachen zwischen Pächtern und ihren Aufsehern)
2) Gründung eines ‚Staatsrats’ Sapha thi prueksa ratchakan
phaen din) mit den Aufgaben:
a) Vorschläge für Reformen
(nach Vorbild der Französischen Conseil d’État aus der Zeit von
Napoleon Bonaparte)
b) Abschaffung von Fronarbeit
c) Abschaffung der Sklaverei
d) Verbot von Glücksspielen (Grund für Schuldknechtschaft)
3) Einführung eines Kronrats (mit 49 Mitgliedern) zur persönlichen Beratung des Königs.
Anlässlich der 100-Jahres-Feier des Bestehens der Chakri-Dynastie wurden im Jahre 1882 fünf bedeutende Neuerungen König Chulalongkorns für das neue Siam gewürdigt:
- allmähliche Gleichberechtigung bestimmter Klassen von Sklaven
(erst 1905 wurde die Sklaverei endgültig abgeschafft),
- kein unterwürfiges Niederwerfen in Angesicht des Königs
- Garantie für Regierungsbeamte, dem König schriftlich ihre
Meinung zukommen zu lassen
- Eine Verbesserung in der Außenpolitik und Vertiefung
internationaler Kontakte
- Erweiterung des Wat Phra Kaeo
Des Weiteren wurde eine Bildungsreform angestoßen, das Anlegen neuer Reisfelder in großem Stil unterstützt und das Anlegen neuer Kanäle zum Ankurbeln der Wirtschaft veranlasst. In seine Zeit der Amtsführung fiel auch: eine Reform der Justiz nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, Verbesserung der Infrastruktur über den oben erwähnten Ausbau des Kanalsystems hinweg, d.h. Ausbau eines Straßen- und Eisenbahnnetzes, Einrichtung eines Post- und Telegrafenwesens, Hebung des Bildungsniveaus durch Schulen und Universitäten, Einrichtung von Krankenhäusern und durch kluge Diplomatie: Schaffung eines souveränen Siams (der Landesname wurde erst 1939 auf Veranlassung des Diktators Plaek Phibunsongkham in Thailand verändert).
König Chulalongkorn im Kreise seiner königlichen Familie (zeitgenössisches Ölbild)