HELMUT RIELÄNDER
Malerei, Grafik und Installationen

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Südostasiatische Notizen

Der aufmerksame Leser/ die aufmerksame Leserin liegt richtig, ein neues Kapitel der kulturellen Besonderheiten wird eingeläutet. Gewidmet ist es der

Kultur-der-Angst-vor-dem-Gesichtsverlust

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Fürwahr, mir war im oben genannten Beispiel nach thailändischen Maßstäben ein großer Fehler unterlaufen: ich hatte nicht nur die Kompetenz der Ärzte in Frage gestellt, sondern war auch noch etwas laut dabei geworden (nach 2000 ergebnislos verfahrenen Kilometern?!).
Aufzubrausen, harte Kritik zu äußern widerspricht dem Thai-style!
Das Gegenüber lächelt auch lieber einmal schon im Voraus, um den sich Beschwerenden den ‚Wind aus den Segeln’ zu nehmen (häufig zu beobachten in Ämtern, Geschäften, an Hotelrezeptionen etc.).
Das Beherrschen der Situation und des Gegenübers bedarf eines subtilen Einfühlungsvermögens. Dabei spielt die Belastbarkeit des Einzelnen immer eine große Rolle.
Zwei Bezeichnungen gibt es im Thai: das kühle Herz djai yen und das heiße Herz djai ron. Es kann durchaus vorkommen, dass sich während eines Gesprächs die Temperatur des Herzens verändert. Sprachlich ist dieser Wandel (für Ausländer, die kein Thai sprechen, schwer) daran zu erkennen, dass aus einem freundlich-persönlichen khun (du/Sie) das für Tiere und Dinge gebräuchliche ke wird. Danach kann es zu Eskalationen kommen, deren Ausgang nicht einzuschätzen ist.
Auf jeden Fall riskiert der mit dem heißen Herzen sein Gesicht zu verlieren. Gesichtsverlust heißt nicht nur Gefährdung seiner selbst, sondern auch der Gemeinschaft.
Nach dem Naturglauben des Animismus beschwört die menschliche Wut auch die der Geister herauf.
Viele Thais interpretieren Überschwemmungen, Hungersnöte, Seuchen, Trockenheit und Dürre als Folge ungebührenden Verhaltens von Menschen und als Rache der Geister, die nicht selektiv sondern als kollektive Strafe zu erfolgt!
So lernen Thais, ihr djai yen zu bewahren und auch einiges ‚einzustecken’.
Aber jeder Mensch ist nur bis zu einer gewissen Grenze belastbar. Trotz sozialer Zwänge, die auch durch die buddhistische Erziehung geprägt sind, kann es zu ‚unkontrollierten Entladungen’ kommen. Dieses ist fast täglich in den Medien zu verfolgen (‚Nachbar erschießt Hundebesitzerpaar eines ewig kläffenden Pinschers’, ‚Autofahrender in Eile befindlicher Geschäftsmann fühlt sich von Autofahrerin behindert, steigt aus, verbiegt die Scheibenwischer ihres Autos, spuckt auf die Windschutzscheibe und tritt Beulen in die Karosserie’, oder ‚Lastwagenfahrer erschießt hupenden PKW-fahrer aus seinem Führerhaus heraus’...) es gibt viele derartige Nachrichten, die auch über die Deutschen Medien hier verbreitet werden (siehe: die Internetzeitung ‚Wochenblitz’, ‚Der Farang’, oder die Monatsschrift ‚TIP’).
Gesichtsverlust ist immer eine Form von unangemessener Reaktion auf das Gegenüber.
Es ist unüblich, sich zu beschweren, sich über schlechtes Essen zu mokieren oder qualitativ schlechte Ware zu reklamieren!
Dies habe ich nach dem Kauf meiner ‚Ameise-Repliken’ (formverleimte Stahl-Sperrholzstühle, die dem dänischen Designer Arne Jacobsen nachempfunden sind) erfahren müssen.
Bei der ersten Belastung der Rückenlehne knackte einer der Sperrholzstühle verdächtig, die mit der Sitzfläche als Einheit geformte Sitzschale verlor ihre Spannung und die Rückenlehne drohte abzubrechen. Ich erklärte Rei, dass ich den schadhaften Stuhl eintauschen würde. Sie war bestürzt! Es war für sie undenkbar, etwas Gekauftes zu reklamieren oder umzutauschen! ‚We don’t do this!’
Ich tat es dennoch und sie war mir erst nach großer Überwindung behilflich, nicht zuletzt nachdem ich ihr erklärt hatte, dass die Geschäfte gegen derartige Schäden versichert seien!
Die Reaktion ‚unseres’ Verkäufers: er war höchstgradig angefasst!
Die Geschäftsführerin wurde herbei gerufen und nach einigem Hin und Her wurden wir (süßsauer) handelseinig und erhielten einen neuen, nun zur Hälfte bezahlten Stuhl (– in meinen Augen ein ‚fauler Kompromiss’!) Ich glaube, ich war der erste, der eine nicht intakte Ware in dieses Möbelhaus zurückbrachte?!
Ins Nachhinein bin ich Rei sehr dankbar, dass sie gegen ihr kulturelles Empfinden mit ‚dem Farang’ diese ‚Beschwerde und Umtauschfahrt’ unternommen hatte.
Heute weiß ich, dass die Reklamation mein Gegenüber als Verkäufer einer ‚schlechten Ware’ bloß stellte (obwohl er den Stuhl nicht gefertigt hatte!)
In anderen Kulturen lauern eben überall ‚Fettnäpfchen’ und man sollte versuchen, jede Form der Reibung zu vermeiden.

Thais scheint ihre innere Freiheit sehr wichtig. Diese beruht auf ihrer emotional und physisch stabilen Verfassung. Die Vermeidung von Reibungen im Kontakt mit Anderen ist dabei Voraussetzung für das Wohlbefinden im sozialen Miteinander. Wohlbefinden heißt auf Thai sanuk (auch Spaß/ englisch fun, manchmal auch mit entertainment übersetzt). Meines Erachtens setzt sanuk aber schon eher an. Dazu aber mehr in der Juli-Ausgabe. Sanuk gilt als sehr erstrebenswert. Ohne sanuk macht das Leben keinen Spaß!
Die Konfliktvermeidung oder Rücksichtnahme, einem anderen Menschen weder etwas aufzuzwingen noch das Gegenüber durch direkte Kritik, Herausforderungen oder irgendeine Art der Konfrontation ins Wanken zu bringen, wird in Thai als kreng djai bezeichnet.

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