HELMUT RIELÄNDER | ||
In dem nun folgenden Kapitel werde ich Beobachtungen und Eigenarten der Kultur und der zwischenmenschlichen Beziehungen, die ich im Laufe der über dreizehn Monate hier erlebt und festgestellt habe, versuchen zu erläutern.
Diese Erlebnisse, Beobachtungen und Schlussfolgerungen erheben nicht den Anspruch der allgemeinen Gültigkeit für dieses Land, sondern beziehen sich nur auf den Isaan, hier im äußersten, sehr ländlich geprägten Landstrich des Nordwesten Thailands.
Anknüpfend an die Erlebnisse bei der Einschulung von Ao in das Internat bei Khon Kaen beginne ich mit der immer wieder gemachten Erfahrung mit der hiesigen
Warte-Kultur
Schon im ersten Monat beim Kauf meines Pickup bei ISUZU in Udon Thani bemerkte ich:
Es erstreckte sich der Kauf meines Autos „ ...vom ersten Anschauen, über den Vorvertrag, der entsprechenden ‚Extras’.... über 15!!! lange Stunden....??!!
Eines muss man immer wieder feststellen, man (muss) hier bei allen!!! Unternehmungen viel Zeit und Geduld mitbringen!!!
In der Folgezeit galt das ebenso für meinen Internetanschluss wie bei Besuchen von Ämtern, bei Ärzten oder bei dem Einrichten eines Bankkontos.
Im Wartezimmer eines viel besuchten Arztes, Mitte des letzten Jahres, mich plagten damals Magenkrämpfe, wartete ich geschlagene 4 ½ Stunden, bis ich an die Reihe kam ... das ist normal hier. Ähnlich erging es mir bei einem Arzt, der meinen ‚Hexenschuss’ im letzten Jahr behandelte.
Das gleiche Bild an ‚Haltestellen’, an denen hier ab und zu einmal Songtheaws (Kleinbusse, die durch den Landkreis zirkulieren) vorbeikommen. Oder an T-Shirt-Verkaufsständen, bei denen alle ein bis zwei Stunden mal jemand ein Shirt kauft, alle warten geduldig, dösen vor sich hin, nuckeln versonnen an ihren in Plastikbecher lauwarmen Saftes stehenden Trinkhalmen in der Hoffnung, ein Kunde kommt vorbei.
Man wartet gerne und hat diese Zeit zwar nicht eingeplant, aber der Tag geht auch so rum ... und man hatte sich ja zum Arzt-, Amts- oder Apothekenbesuch, bei wem auch immer, abgemeldet! (Chef, Ehegatte, Kinder, Lehrer etc. wissen um diese ‚Warte-Zeiten’!)
Bei Verabredungen kommt es auf ein- zwei Stunden nicht an. Wo in Europa und speziell in Deutschland bestimmt schon ‚ein Aufstand’ zustande gekommen wäre, schaut man hier versonnen vor sich hin und ... wartet! Sabaii Sabaii, sich wohl fühlen, nichts überstürzen ... und warten!
Das hat nun (lieber Bruder Klaus) nichts mit unserer in letzter Zeit viel gepriesenen ‚Entschleunigung’ zu tun, sondern nur mit ... warten!!
Manchmal meint man, nun gehe es aber gar nicht mehr voran, aber dann scheint sich doch etwas zu bewegen. Und sei es nur der Ventilator, der mit langsamen Bewegungen den Wartenden etwas Luft zufächert ... warten, der Luftzug kommt gleich wieder! Da kann auch schon mal der ‚Blues’ aufkommen?
Die hier häufig herrschende Hitze drückt auf’s Gemüt ... und nun nicht noch einen Schweißausbruch riskieren ... das macht Flecken. Besser verharren, schauen, manchmal lächeln ... und Sabaii, Sabaii! Keine Hektik! ... und waaarteeen!
Schon während meines ersten längeren Besuchs hier im Südostasien vor nun fast sieben Jahren waren mir diese Ausprägungen der Wartekultur aufgefallen. Es war Ende September 2008 am Rande von Chiang Rai:
„...Morgen soll es nach Nan weiter südöstlich von Chiang Rai gehen. Chamnan (mein damaliger ‚Nachbar’) hatte mir angeboten, mich nach Nan mitzunehmen, da er geschäftlich in der Stadt zu tun hat. Die Abfahrt (13.09.) schob sich dann doch von vormittags (um kurz vor 9:00 h) bis weit in den Nachmittag. Gegen viertel vor Fünf ging es dann los hinein in die untergehende Sonne (gegen 18:30 Uhr wird es dunkel).“
Auf die Zeit kommt es hier im äußersten Nordosten des Königreiches ebenfalls nun überhaupt nicht an.
Bei meinen Fahrten mit Reis kranker Mutter ins Universitätsklinikum von Khon Kaen im Juni bis August letzten Jahres war ein neun- bis zehnstündiges Warten vor dem Klinikum keine Seltenheit! Beim zweiten Mal habe ich dann ein wenig die Stadt erkundet, um nicht wie ‚Schwager’ Sak (der uns diverse Mal begleitete) die Wartezeit nur dösend auf der Ladefläche des Pickup zu verbringen.
Die anschließende Fahrt hinein in die Dämmerung und die stockfinstere Nacht barg dann wieder größere Gefahren, vor dem Hintergrund der vielfach ohne Beleuchtung fahrenden, chaotisch agierenden Lastwagen-, Pickup-, Moped- und Fahrradfahrer. Die beiden Letzteren auch auf meiner Fahrspur entgegenkommend, was mir jedes Mal einen furchtbaren Schrecken in die Glieder fahren ließ. (Die Landstraßen sind in der Regel nicht beleuchtet!)
Diesem besonderen Kapitel werde ich mich im nächsten Monat (Juli SOAN 15) unter der Rubrik ‚Verkehrs-Kultur’ widmen.
Als hochgradig unschicklich gilt es, wenn man bei dieser Warterei die Fassung verliert, ungeduldig oder laut wird! Als wir, ich glaube zum fünften oder sechsten Mal, die Tour Ban Poon – Khon Kaen (hin und zurück ca. 400 Km) mit der kranken Mutter Reis ins Universitätsklinikum gemacht hatten, ohne einen konkreten Befund zu erhalten, geschweige denn Erklärungen einer möglichen Therapie, fuhr ich (nach über 2000 Kilometern) aus der Haut und fragte erregt, was Rei denn nun weiterhin zu tun gedenke, welche Therapie und Maßnahmen die Ärzte denn nun veranschlagen würden? Da ich durch meine Unkenntnis der Sprache nicht bei den Unterredungen und Untersuchungen dabei gewesen war, hatte ich das Gefühl, es geht überhaupt nicht voran und Rei wird nur hingehalten! Die Ärzte (Studenten?!?) wechselten von Termin zu Termin – Burian, die Mutter Reis’, als ‚Versuchskaninchen’??!.
Der ‚Schwager’ auf dem Beifahrersitz sieht mich etwas ängstlich an und stellt fest, ‚...der Mann hat zwei Gesichter!’ (Wahrscheinlich wahr, auf dem zweiten sitze ich!)