HELMUT RIELÄNDER
Malerei, Grafik und Installationen

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Südostasiatische Notizen

Kreng djai – Kultur
(oder Angst-vor-dem-Gesichtsverlust-des-Gegenübers)

Die Übersetzung Rücksichtnahme trifft den Begriff aber nicht vollends.
Beim kreng djai spielt die soziale Position des Einzelnen eine große Rolle. Auch der sozial höher Gestellte muss dieses kreng djai beherzigen und ‚anwenden’.
Zum Beispiel muss ein Chef Untergebenen gegenüber nicht nur gerecht sein, sondern darf Kritik nur in abgeschwächter Weise, vorsichtig äußern. Ein ‚nein’ oder ‚schlecht’ darf es in seinem Vokabular eigentlich nicht geben!
Seine Mitarbeiter werden auf der anderen Seite bemüht sein, unangenehme Dinge zu verschweigen, um das Gleichgewicht des Leiters nicht zu gefährden. Selbst wichtige Sachverhalte, deren Ignorieren sich firmenschädigend auswirken könnte, . wird kein Angestellter seinem Chef vortragen, dies könnte als Kritik an der Fähigkeit der höher gestellten Führungskraft verstanden werden.
(Über die Hierarchie-Kultur berichte ich dann in der Juli-Ausgabe SOAN 15.)

Vor vier Monaten las ich in der Zeitung ‚der Farang’ einen übersetzten Artikel aus der in Bangkok erscheinenden Tageszeitung ‚Bangkok Post’. Der Sonntagskolumnist Andrew Biggs schilderte dort ein Erlebnis mit M., einem jungen thailändischen Mitarbeiter der früher von Biggs geleiteten Fremdsprachenschule, der aus Gründen des kreng djai wortlos und auf Nimmerwiedersehen die Firma verlassen hatte.
M. war durch die Tsunami-Katastrophe 2004 zum Waisen geworden und Biggs hatte ihm über eine Organisation geholfen, seine begonnene Ausbildung fortzusetzen und ihn danach fest eingestellt. Biggs bezeichnet M. als nicht gerade sehr geselligen Mitarbeiter, der Probleme eher in sich hineinfraß.
Der unterschiedliche Habitus führte zu immer stärkeren Spannungen zwischen Beiden. Durch das nicht Ansprechen von Problemen auf der einen und wohl auch durch die hemdsärmelige ‚Farang-Art’ auf der anderen Seite kam M. immer weiter unter Druck, bis hin zu Tränen und Verstocktheit.
Eines Tages war er verschwunden. Seine thailändischen Mitarbeiter waren nicht überrascht und erklärten Biggs:
Er zeigt Ihnen gegenüber kreng djai. Er möchte ihre Gefühle nicht verletzen nach allem, was sie für ihn getan haben. Seien sie deshalb nicht allzu traurig.“
Kreng djai wäre eine ‚einheimische Wesensart’, die Ausländer nicht besitzen!
Diese gewährleistet, dass andere Menschen durch eigenes Verhalten nicht traurig, bestürzt oder verärgert werden, oder ihnen gar ein Gesichtsverlust zugefügt wird. Es ist also in erster Linie dazu da, die Gefühle des Gegenübers nicht zu kompromittieren.

Dies ließ Biggs, trotz der fünfundzwanzig Jahre, die er bereits in Thailand verbracht hatte, an seiner sozialen Kompetenz zweifeln und er resümierte, dass kreng djai als eine ähnliche ‚exklusive Domäne’ anzusehen sei wie som tam, Jasminreis und Sündenböcken aus Myanmar (Bezug: Doppelmord an einem britischen Paar, deren Tat zwei jungen Fremdarbeitern aus Myanmar in die Schuhe geschoben werden soll - Prozessbeginn im Juli.)

Seine Verärgerung nach dem plötzlichen Verschwinden seines Mitarbeiters und ‚Ziehsohns’ M. aus ‚Angst vor einem Gespräch’ veranlasst Biggs, die ganze kreng djai-Ideologie ... mit dem Bade aus(zukippen)’, und sie als bloße ‚Feigheit’ zu apostrophieren.

In der Tat ist diese Art des umsichtigen und vorsichtigen Vorgehens für uns als ‚Farang’ erst einmal unverständlich. Aber wir – ich lebe nun (vorübergehend?) in diesem Lande und muss mich zumindest differenziert mit den Gepflogenheiten, Sitten und Gebräuchen auseinandersetzen – neigen oft dazu, Dinge in Bausch und Bogen zu verurteilen, da sie nicht in unseren Wertekanon zu passen scheinen?!
Andererseits erwarten wir z.B. von unseren türkischen Mitbewohnern in Deutschland auch, dass sie sich der Kultur, den Sitten, Gebräuchen, Eigenarten und Umgangsformen anpassen!

Im nächsten Monat, am 30. Juli geht es weiter mit den ‚unterschiedlichen Kulturen’, Beobachtungen und auch Einsichten in diese für mich immer wieder neue, andere Kultur (mit der Familien-Kultur; der Hierarchie-Kultur und der Verkehrs-Kultur).

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