HELMUT RIELÄNDER | ||
Einige Tage nach dem Besuch dieser Schülergruppe meldete sich Tiki, die Tochter einer Kusine von Rei aus Ban Poon. Auch sie besucht die Schule am Rande der Kreisstadt und wollte mich ebenfalls mit einigen Klassenkameradinnen und -kameraden zwecks eines Interviews auf Englisch aufsuchen.
War die erste Schülergruppe doch recht selbstsicher und auch in einer gewissen Weise versiert aufgetreten, so war die Gruppe ‚um Tiki herum’ weitaus schüchterner und zögernder in ihren Fragestellungen.
Es haperte etwas mit den Englischkenntnissen und ich musste diverse Male nachfragen. Aber auch diese fast doppelt so große Gruppe wechselte sich in den Fragestellungen an mich ab.
Einleitend wieder die Frage nach Namen, Herkunftsland und wie lange ich in Thailand wäre.
In dieser Gruppe von Schülerinnen und Schülern der benachbarten weiterführenden Schule war eine Mitschülerin speziell für das Festhalten des Gesagten mit ihrem Smartphone ‚abgestellt’.
Auch kam wieder die Frage nach meinem ‚favourite thai-dish’, meiner Lieblingsspeise hier (wie mehrfach berichtet ist es Gai Pad Med Mamuang = geröstetes Huhn mit Cashew-Kernen und Gemüse, aber auch Som Tam (scharfer Papayasalat) wenn er nicht – wie zumeist hier im Isaan – mit Chili überwürzt ist!
Als auch wieder die Frage nach meinem Lieblingstier kam, dachte ich an die in Abwesenheit ihres ‚Herrchens’ ewig kläffenden ‚Tölen’ des Nachbarn schräg gegenüber und die krähenden Hähne und gackernden Hühner zwei Häuser weiter zur Rechten und gab als Antwort: Fische und Vögel, von denen man entweder gar nichts hört oder die lieblich zwitschernd den Morgen begrüßen!
Dann sollte ich spontan drei Dinge sagen, die ich mit Thailand in Verbindung bringe?! Meine Antwort: „schönes Wetter, gutes Essen (sab eating) and funny people“.
Auch wollten sie mein Alter wissen („very old!“) und stellten die meines Erachtens sehr gute aber auch sehr differenziert zu beantwortende Frage der Unterschiede zwischen Thailand und Deutschland.
Da musste ich einen Augenblick nachdenken und versuchte dann – nicht ausweichend, aber doch sehr allgemein – zu antworten.
Ich habe hier schon häufiger versucht darzustellen, dass sich ein direkter Vergleich eigentlich nicht nur ‚verbietet’, da es den beiden Ländern und Völkern nicht gerecht wird, sondern auch von falschen Vorzeichen ausgeht.
Ich versuchte es über die sehr unterschiedlichen Kulturen und deren Grundlagen zu erklären.
Der kulturelle Hintergrund europäischer Kultur der letzten 1500 Jahre ist hauptsächlich christlich geprägt.
Auch Thailand wurde im gleichen Zeitraum kulturell-religiös geprägt: im Wesentlichen durch buddhistische, aber auch animistische sowie brahmanische Wurzeln (animistisch: Glaube an anthropomorphe gedachte seelische Mächte; brahmanisch: aus vorbuddhistischer Zeit, in Indien verbreitet, hat bis heute mythologische Bedeutung).
Dabei ist in den westlichen, vom Christentum beeinflussten Ländern und Erdteilen der Individualismus wesentlich stärker ausgeprägt.
Bei Gesprächen mit Jüngeren, aber auch Älteren hier ist mir aufgefallen, dass sie häufig recht wenig über andere Länder, geschweige denn Kulturen wissen. Viele sind aber auch nicht sonderlich neugierig ... oder fragen nicht nach?! Möglicherweise um sich keine Blöße zu geben (Gesichtsverlust?!?). Vielleicht ist die Unkenntnis darüber, wie es in der übrigen Welt zugeht, aber auch der Tatsache geschuldet, dass das Geld zum Reisen häufig nicht vorhanden ist?!
Aber selbst über das nur 50 Km entfernte Laos, das in seiner Kultur dem Isaan sehr ähnlich ist, herrscht große Unkenntnis! Ist es ein gewisser ‚Hochmut’ der Thais gegenüber den ärmeren Nachbarn?! ... oder ist es das vermeintlich Fremde ... oder die mangelnde Neugier? Was ist da anders? Was ist ähnlich?
Selten habe ich von Thais Berichte über Reisen ins Nachbarland Laos gehört (wo doch da alles billiger ist als hier?!)!
Mir fällt dann immer das Lied aus der Sesamstraße im deutschen Fernsehen ein: „Der, die, das... wer, wie, was,... wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt bleibt dumm??!!“, ein Lied, das schon von den Vorschulkindern in Deutschland gesungen wird.
Neugier ist hier keine Tugend, so scheint es mir?! - Ein zukünftiges Motto für junge Thai?!
In den Fernsehprogrammen hier ist mir zwar die Häufigkeit von Natur- und besonders Tierfilmen aus westlichen Produktionen aufgefallen, aber ich habe noch nie einen Film über das normale menschliche Zusammensein und Leben in westlichen Ländern gesehen. Die gezeigten reißerischen Krimis und opulenten ‚Ami-Schinken’ haben ja herzlich wenig mit dem normalen Leben zu tun!
Das ‚andere’ Verhalten der hier lebenden Farang wird in der Regel als ‚fern’ und ‚abgedreht’ eingestuft: ‚Die sind eben anders!’
Allerdings werden auch in den westlichen Ländern häufig ‚Asiaten’ entsprechend eingestuft und in Schubladen gepackt?!
Die mich besuchenden jungen Menschen wollten aber wissen, was mir im täglichen Leben aufgefallen ist?
Ihre Frage nach den Unterschieden zwischen Thailand und Deutschland versuchte ich am Beispiel des kaum entwickelten Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hier in Thailand zu beantworten. Es gibt in den kleineren Städten (aber auch in größeren wie in Chiang Mai) keine regelmäßig nach Fahrplan verkehrenden Busse! Das Eisenbahnnetz ist schlecht ausgebaut und völlig veraltet. Separate Fahrradwege sind absolut selten und machen das Fahrradfahren hier lebensgefährlich.
Das war nur ein kleiner Punkt, aber die Schülergruppe wollte eine konkrete Antwort.
Die freundlichen, aber anfänglich trotz der Anwesenheit von Rei sehr zurückhaltenden Gäste waren nach geraumer Zeit jedoch einigermaßen ‚aufgetaut’ gegenüber dem ‚fremdländischen Mann’. Dennoch blieben viele der für sie bereitgestellten Gläser mit Cola und Eis unberührt.
Rei sagte mir später, nachdem sie gegangen waren: They are very shy! (sie sind sehr schüchtern!).
Zum Schluss das obligatorische Gruppen-Erinnerungsfoto