HELMUT RIELÄNDER | ||
Die folgende Wiedergabe des TIP-Artikels, der jeden Thailandbesucher eine grundlegende Erklärung liefert für das, was ich einmal die thailändische ‚Hierarchie-Kultur’ nannte (siehe meine Ausführungen in den SOAN 15 vom vorletzten Jahr), habe ich mit Bildern aus dem thailändischen Fernsehen unterlegt. Sie zeigen die Zeremonie vom 1. Dezember 2016, bei der Kronprinz Maha Vajiralongkorn als Thronfolger seines verstorbenen Vaters, König Rama IX, gekürt wird, und sind nicht nur Beleg für den Devotismus der höfischen Rituale hierzulande sondern entspringen eben diesem 600-jahrigen Gesellschaftssystem des Sakdina.
Vor 800 Jahren war die thailändische Gesellschaft in zwei Klassen unterteilt: auf der einen Seite der Adel, auf der anderen Seite die große Masse der Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Rollen, die jede dieser Klassen einzunehmen hatte, wurden durch das Sakdina-System definiert. Es legte fest, wie diese beiden Gruppen ‚miteinander und untereinander zu agieren hatten.’(TIP-Zeitung für Thailand, 20.Jahrgang, November 2016, Khon Kaen, Seite 13 f).
Links: auf Knien überbringt ein Untertan dem künftigen Monarchen Thailands das Mikrophon; rechts: der Kronprinz nimmt seine Ernennung zum Rama X an.
Durch diese Festlegung wurde zugleich eine ‚strikte Sozialordnung’ geschaffen, ein Kastensystem, das den gesellschaftlichen Wert jedes Einzelnen bestimmt. Es war quasi die Formalisierung der Stellung jeder einzelnen Person im Königreich. Ausgeschlossen waren Chinesen und (von Geburt) nichtadlige Frauen, denen – ebenso wie den Leibeigenen – kein gesellschaftlicher Wert zugesprochen wurde.
Im Umgang miteinander ist bis zum heutigen Tag die korrekte Anrede des Gegenübers außerordentlich wichtig. Das gilt vor allen Dingen für den ‚Wai’ und dem Vortrag dieser Begrüßungsgeste.
‚Das System legte aber nicht nur fest, wie viel Respekt der Einzelne verdiente, sondern auch, welche soziale Stellung er innehatte. Es wurde von Menschen höherer Geburt erwartet, dass sie auch einen höheren Lebensstandard verfolgten. Darüber hinaus etablierte das System das Verhältnis zwischen Adel und Bürgertum, zwischen freien Bürgern und Leibeigenen, zwischen Herren und Sklaven. Von allen freien Bürgern zwischen 18 und 80 war es beispielweise verlangt, dass sie jedes Jahr ihrem Landherrn sechs bis acht Monate lang unentgeltlich zur Verfügung standen. Dieser Frondienst konnte ziviler oder militärischer Art sein.’ (TIP, a.a.O., S. 13)
Der Kronprinz und zukünftige König kniet nieder (links) – auch die Untertanen im Hintergrund sind ‚in die Knie gegangen’ und betet zum Bildnis seiner Eltern (rechts).
Der Aspekt der Kodifizierung von Höflichkeit und Respekt ist allerdings nur ,eine Seite der Medaille’. Bald zeigte sich, dass diese Form von Privilegien auch zu Missbrauch führen, der ‚zugewiesene Status’ auch zur Erlangung persönlicher Vorteile ausgenutzt werden konnte. Schon damals kam es zu Formen der Korruption und Ungleichbehandlung, beispielsweise vor Gericht: wurde eine Person niedrigeren Ranges eines Verbrechens gegen eine Person eines höheren Sakdina-Ranges bezichtigt, ... ‚so erhielt diese niedrigere Person eine weitaus strengere Bestrafung als wenn das gleiche Verbrechen von einer höheren Person an einer niedrigeren begangen worden wäre.’ (TIP, a.a.O., S. 13)
Das führte in der Folge dazu, dass sich Adlige aus ihrer ohnehin schon privilegierten Position heraus dem König näherten, um sich ‚Liebkind’ zu machen, einzig mit dem Ziel, ihm weitere ‚Pfründe abzuschwatzen’.
‚Ein Regierungsbeamter mit einem Sakdina „Rai“-Rang von 225 hatte demnach nicht nur einen ‚gesellschaftlichen Wert’ von 225, sondern er erhielt vom König auch 225 „Rai“ Land zuerkannt (360.000 qm bzw. 36 Hektar). Der numerische Sakdina-Rang des Kronprinzen war 100.000 Rai, jener von Mitgliedern der königlichen Familie bis zu 50.000 Rai und Adlige rangierten je nach deren Position im Regierungsapparat zwischen 400 und 10.000 Rai. Handwerker hatten einen Rang von 50 Rai, gemeine Bürger von 25 Rai und Sklaven/ Leibeigene von 5 Rai.’ (TIP, a.a.O., S. 13)
Die bürgerlichen Ränge entsprachen im Wesentlichen dem Stellenwert der ausgeübten Berufe. Andererseits definierte der Rang auch die ‚Erlaubnis’, einen entsprechenden Beruf überhaupt erst auszuüben.
Somit existierten zu König Borommatrailokanats Regentschaft penibel ausgearbeitete Listen über die jeweilige Rangnummer jedes Berufes. Dem Patriarchen war es allerdings vorbehalten, die Rangnummer jedes Einzelnen nach Gutdünken zu verändern. So wurde – wir würden sagen ‚nach Gutsherrenart’ – Loyalität belohnt und Illoyalität sanktioniert; der Herrscher konnte mittels dieses Systems seine Macht festigen und besaß den Schlüssel zu jedweder Veränderung in seinem Reich.
Ein Querverweis auf mein persönliches Umfeld: meine Partnerin Rei und ihre Familie besitzen 50 Rai Ackerland, das sie nie veräußern würden. Das käme einer Erniedrigung gleich und würde sie im Ansehen der Dorfgemeinschaft herabwürdigen.